Nach dem Übermaß an spektakulären Eindrücken gestern war heute ein wenig Katerstimmung angesagt. Nachdem ich Trondheim am frühen Morgen mit dem Nachtzug aus Bodø erreicht hatte, ging es direkt weiter mit Bahn und Bus an die Fjordküste nach Ålesund. Herzstück der Etappe war die berühmte Raumabane zwischen Dombås und Åndalsnes. In Ålesund angekommen verordnete mein Körper mir allerdings erst einmal eine Zwangspause.
Trondheim – Dombås – Åndalsnes – (Bus) – Ålesund 431 km (total: 4.474 km)
Gegen halb sieben bin ich in meinem Schlafwagenbett erwacht. Ich hatte hervorragend geschlafen und kann mich nicht daran erinnern, in der Nacht überhaupt einmal wachgeworden zu sein. So gut ging es im Nachtzug bisher noch nie, was wohl auch daran lag, dass die norwegischen Nachtzüge keine Kurswagen führen und es daher nachts zu keinen störenden Rangiermanövern kommt. Darüber hinaus war das Bett überaus bequem. Ich kann mich also den meisten anderen Bahnfans nur anschließen – Schlafwagen in Norwegen sind absolute Spitzenklasse!
Guten Morgen, Tronheim!
Wir kamen etwa 20 Minuten zu früh in Trondheim an. Schweinerei! Der Nachtzug ist das einzige Verkehrsmittel, wo man sich normalerweise über jede Verspätung freut. Dummerweise wurde die „Verfrühung“ erst relativ knapp vor der Endstation angekündigt, so dass das Packen etwas hektisch wurde. Hinterher stellte ich fest, dass die Eile total unnötig war: Viele andere Fahrgäste ließen sich erst bei Erreichen des Bahnhofs vom Schaffner wecken. In Trondheim erwartete uns ein phantastischer Morgen. Der Himmel gab wieder Vollgas und erstrahlte in den schönsten Farben und einer Klarheit, die ich selten gesehen habe.
In Trondheim hatte ich etwa 40 Minuten Aufenthalt, die ich mit Fotografieren und einem Einkauf beim Bäcker verbrachte. Mein Anschlusszug in Richtung Oslo wurde früh bereitgestellt und so hatte ich in Ruhe Gelegenheit, die Lage zu sondieren. Ich wollte es nämlich wieder wagen, ohne Reservierung in einen „Reservierung dringend empfohlen“-Zug zu steigen! Ich fand heraus, dass im letzten Wagen tote Hose war, und ließ mich in der vorletzten Reihe wieder. Das stellte sich als gute Wahl heraus, denn auf der ganzen Fahrt kam keiner vorbei, der Anspruch auf meinen Platz erhob (man muss vielleicht noch zur Erklärung sagen, dass es in Skandinavien keine Reservierungsanzeigen über den Plätzen wie bei der Deutschen Bahn gibt). Es begann eine landschaftlich wieder sehr schöne Fahrt über die Dovrebane. Die Strecke führt über das Dovrefjell und oben, auf etwa 1.000 Metern Höhe, erwartete uns eine tief verschneite Winterlandschaft bei etwa -6 °C (Angaben laut Anzeige im Zug).
In Dombås war für mich vorerst Endstation, von hier sollte es weiter mit der Raumabane hinunter auf Meereshöhe gehen. Rund um den Bahnhof gab es kaum Zivilisation, offenbar war der Ort ein gutes Stück enfernt. Ich hatte etwa eine Stunde Aufenthalt, welche ich im warmen Wartesaal verbrachte. Hier hatte ich Gelegenheit, meinen Blogeintrag von gestern hochzuladen (dank der Funktion „Persönlicher Hotspot“ meines Handys auch ohne WLAN kein Problem). Draußen hatte es mittlerweile leicht zu schneien begonnen.
Auf der Raumabane nach Åndalsnes
Eine Viertelstunde vor Abfahrt konnten wir schließlich den Triebwagen hinunter nach Åndalsnes besteigen, welcher schon die ganze Zeit am Bahnsteig herumstand. Neben wir gab es nur eine handvoll weitere Fahrgäste, um die Reservierungsproblematik musste ich mir also keine Gedanken machen – dachte ich zumindest, denn kurz vor Abfahrt kam noch der Zug aus Oslo an, welcher eine Menge Anschlussreisender mitbrachte. Ich hatte aber wieder Glück, niemand zeigte Interesse an meinem Platz. Nun konnte die wilde Fahrt über die Raumabahn losgehen, welche nicht selten als schönste Bahnstrecke Europas bezeichnet wird. Ich muss allerdings sagen, dass ich diese Einschätzung nicht ganz teilen kann. Die Landschaft war zwar wieder spektakulär, aber nach der gestrigen Erfahrung auf der Nordlandsbane hat es mich nicht mehr ganz so gepackt – vielleicht war ich einfach noch etwas übersättigt von so viel beeindruckender Natur.
Nach etwas über einer Stunde kamen wir in Åndalsnes an. Was für ein Kontrast – nach den winterlichen Verhältnissen oben in Dombås fühlte es sich nun fast wie Frühling an. Die Sonne strahlte, es gab viel grünes Gras zu sehen und die Temperatur betrug etwa 9 Grad – plus, versteht sich! Åndalsnes ist ein verschlafenes kleines Nest am Fjord, aber mit Hafen, Bahnhof und Bushaltestelle nicht unbedeutend als Verkehrsknotenpunkt. Interessantes Detail: Am Bahnhof gab es eine Zugkapelle in einem knallroten, ausrangierten Eisenbahnwaggon.
Mit dem Bus nach Ålesund
Für mich sollte es nun weiter mit dem Bus nach Ålesund gehen. Aufgrund der schwierigen Topographie Norwegens kann man die Bahnstrecken des Landes an zwei Händen abzählen. So ist es auch zu erklären, dass man die immerhin fünfzehnt-größte Stadt des Landes nur per Bus oder Schiff erreichen kann – und das auch nur wenige Male am Tag. Auf Deutschland übertragen hieße das also etwa, Städte wie Nürnberg, Duisburg oder Bochum hätten keinen Gleisanschluss…
Es nützte also nix, etwas widerwillig bestieg ich nach kurzer Wartezeit mein am meisten gehasstes Verkehrsmittel, Hölle von Kindheit und Jugend. Der freundliche Busfahrer gab mir immerhin wegen meines Interrail-Tickets einen Rabatt von 50% auf den Fahrpreis, so dass ich für die zweistündige Fahrt nur noch erträgliche 110 NOK (etwa 12,50 EUR) zu berappen hatte. Blöderweise habe ich den Zug in Åndalsnes schon mit Kopfschmerzen verlassen, was wahrscheinlich aus der Kombination aus trockener Klimaanlagenluft und dem heftigen Temperatursprung von 15 Grad lag. Und nun noch die Aussicht auf zwei Stunden Gegurke mit dem Bus durch die kurvigen Straßen am Fjord – das konnte ja was werden…! Ich wählte einen Sitzplatz ungefähr auf Höhe der hinteren Achse, hatte ich doch einmal gehört, dass es hier am wenigsten schaukelt. Ich habe die Fahrt dann auch irgendwie überlebt, halb schlafend, halb die schöne Landschaft und das tolle Wetter draußen betrachtend.
Der Fahrer war auf jeden Fall kein Kind vor Traurigkeit und nach ungezählten Kurven, einigen kilometerlangen Tunnels und vielen Auf- und Abfahrten kamen wir einige Minuten vor Plan in Ålesund an. Kurz nachdem ich etwas benommen aus dem Bus getorkelt bin, kam der Fahrer extra noch einmal auf mich zu und fragte mich, wo ich denn hin müsse. Er erklärte mir dann den Weg zum Vandrerhjem, welches nur etwa acht Minuten Fußmarsch entfernt war. Sehr nett! Der erste Blick auf Ålesund war verheißungsvoll. Die Stadt liegt wirklich malerisch am Fjord, gesäumt von schneebedeckten Gipfeln.
Endstation Vandrerhjem
Ich ging dann direkt zur Herberge und wurde einmal mehr sehr nett empfangen. Die Übernachtung war erstaunlich günstig und kostete im 4er-Zimmer mit Bad inklusive Bettwäsche und Frühstück nur knapp 30 EUR. Für norwegische Verhältnisse und im Vergleich mit den schwedischen Unterkünften wirklich ein Schnäppchen! Nach dem Check-in ging ich auf mein Zimmer und stellte erfreut fest, dass ich wohl der einzige Gast war. Das Zimmer war gemütlich eingerichtet und es gab sogar einen Fernseher. Den schaltete ich zur Berieselung direkt einmal an und legte mich aufs provisorisch gemachte Bett. Da sich der Kopfschmerk heftigst meldete und sich zum Überfluss auch noch Übelkeit dazu gesellte, wollte ich mich etwas Ausruhen…
Tja – hier endet mein heutiger Bericht, denn den Rest des Tages habe ich im Bett verbracht. Nach sechs Tagen rastloser Reiserei mit unregelmäßigem Essen, wahrscheinlich zu wenig zu Trinken, ständigen Wetterwechseln und unfassbar vielen Eindrücken für das Hirn forderte mein Körper eine Pause. Ich fand mich in einem komatösen Schlaf wieder, aus dem ich nur kurz erwachte, um beim freundlichen Hostelmitarbeiter nach etwaigen Mitbewohnern zu fragen. Nachdem ich ihm von meiner maladen Verfassung erzählt hatte, sicherte er mir zu, eventuell noch ankommende Gäste in andere Zimmer zu verfrachten. Obendrein gab er mir noch zwei Ibuprofen mit auf den Weg. Ich schlief weiter bis tief in die Nacht. Irgendwann fasste ich die Entscheidung, dass ich unmöglich morgen früh um 7 Uhr schon wieder weiter nach Lillehammer reisen könnte. Das führte natürlich zu erheblichen Planänderungen. Wie sich herausstellte, hatten diese aber duchaus auch ihre angenehmen Seiten… dazu aber mehr im nächsten Bericht!
[An alle die sich Sorgen machen: Es ist nun 13 Uhr am nächsten Tag (Sonntag) und ich habe schon gut gefrühstückt, Wäsche gewaschen und werde bald bei herrlichstem Sonnenschein die Stadt erkunden. Also alles gut!]