Tag 42: Welcome Back!

Ende einer 42-tägigen Reise: Nach der Nacht im polnischen Schlafwagen verbrachte ich einen gemütlichen Morgen auf den letzten Kilometern in das niederschlesische Jelenia Góra. Von hier aus begann der letzte Teil der Heimreise über Görlitz, Dresden und Leipzig. Erschöpft, aber glücklich nach insgesamt über 17.000 km auf europäischen Gleisen  kehrte ich schließlich am Abend in meine Heimatstadt Oldenburg zurück.

Danzig – Jelenia Góra – Görlitz – Dresden – Leipzig – Oldenburg
1.394 km (total: 17.127 km)

Nach dem langen Bahntag gestern habe ich geschlafen wie ein Stein. Erstmals erwacht bin ich gegen sechs Uhr, wir befanden uns gerade in der Anfahrt auf Breslau. Dort angekommen stiegen meine beiden Abteilgenossen aus. Ich verabschiedete mich von Łukasz, dem es sehr unangenehm war, mich so früh geweckt zu haben. Mir machte das aber gar nichts aus, denn normalerweise finde ich schnell wieder in den Schlaf. So war es auch heute und ich hängte noch ein gemütliches Schlummerstündchen an. Als ich das nächste Mal wach wurde, waren wir nach längerer Standzeit in Breslau längst wieder unterwegs. Ich öffnete die Jalousie und ließ das morgendliche Niederschlesien an mir vorbeiziehen. Zwischenzeitlich hatte ich die beiden oberen Betten eingeklappt, so dass ich nun auch platzmäßig in den Genuss eines Single-Abteils kam.

Bett im Schlafwagen von Danzig nach Jelenia Gora
Guten Morgen aus dem polnischen Schlafwagen!

Nachdem ich mich gereckt und gestreckt hatte – ein Schlafwagenbett ist und bleibt keine Luxusangelegenheit – wankte ich noch etwas schlaftrunken dem Quell der Freude des Eisenbahnliebhabers entgegen: Dem Abteilfenster zum Aufmachen! Mit der Nase im Winde genoss ich dort die Frische des Morgens und wurde langsam wacher. Über Nacht war es noch einmal empfindlich kühl geworden. Wir rauschten vorbei an alten Dampflokomotiven und menschenleren Bahnhöfen. In den Kurven präsentierte sich der stattliche Zug – planmäßig ab Breslau mit stolzen elf Wagen – in seiner ganzen Pracht.

Offenes Fenster im Schlafwagen von Gdynia nach Jelenia Gora
Da freut sich das Bahnerherz: Am offenen Fenster durch Schlesien.

Rundgang durch den polnischen Schlafwagen

Auch wenn mir die deftige Kost vom gestrigen Abend in Danzig noch etwas schwer im Magen lag, meldete sich langsam der Hunger. Als routinierter Nachtzugfahrer in Polen wusste ich allerdings, dass das inkludierte Frühstück nicht allzu üppig ausfallen würde. Dieses besteht üblicherweise aus einem Schokohörnchen oder -muffin, welches man bereits am Abend zuvor im Schrank über dem Waschbecken findet, sowie einem Kaffee. Letzterer wird auf Wunsch vom Schlafwagenschaffner serviert. Also begab ich mich zum Abteil des „Diensthabenden“ am Wagenende. Dieses fand ich jedoch verschlossen vor, offenbar war der Gute noch in tiefen Träumen. Kein Wunder: Nach dem Ausstieg meiner Abteilgenossen war ich der letzte verliebene Fahrgast im gesamten Waggon, die anstehende Arbeit somit überschaubar.

Nachtzug Bett im Schlafwagenabteil
Mein Bett im Schlafwagenabteil. Die Wagen sind nicht mehr die jüngsten, aber gemütlich.

Unverrichteter Dinge zog ich zunächst von Dannen und vetrieb mir die Zeit mit der Dokumentation des Schlafwagens. Dieser gehörte zu der ältesten Bauart, die man heute auf polnischen Schienen antreffen kann, eindeutig erkennbar an den bereits gewürdigten Übersetzfenstern, sowie dem nicht geschlossenen WC-System (vulgo: Plumpsklo). Nichtsdestotrotz lässt es sich recht komfortablel in diesen Wagen reisen. Überhaupt: Das polnische Nachtzugsystem ist ein Kleinod in Mitteleuropa mit einer Vielzahl an Verbindungen – davon viele im Saisonbetrieb und  Kurswagensystem – und dem gewissen Schuss Eisenbahnromantik. Möge es noch lange Jahre so weiter existieren, auch wenn die schwache Auslastung, die ich nun schon mehrfach in Polen erlebt habe, gewisse Zweifel daran aufkommen lässt…

Der Zug hörte übrigens auf den Namen Sudety und war wie die meisten polnischen Nachtzüge der Gattung TLK zugeordnet. Unserem Zugteil aus Gdynia wurden mitten in der Nacht in Posen Kurswagen aus Warschau beigestellt, welche sich an der Spitze des Zuges befanden. Mein Wagen mit der Ordnungsnummer 41 befand sich hingegen ganz am Ende, somit ermöglichte das Fenster am hinteren Wagenübergang freie Sicht auf die Strecke. Als wir uns den Ausläufern des Riesengebirges näherten – immerhin eine der wenigen profilierteren Gegenden in Polen – gab es dort sogar einen Hauch von Weiß zu sehen. Mittlerweile war auch der Schlafwagenschaffner munter geworden und so bat ich freundlich um meinen Kaffee. Damit war mein Minimalfrühstück komplett. Zum Glück hatte ich vorgesorgt und gestern Abend zu später Stunde noch ein paar Dinge zur Ergänzung in Danzig eingekauft.

Frühstück im Nachtzug von Gdynia nach Jelenia Gora
Frühstücksbüffet im polnischen Schlafwagen.

Hirschberger Tal und Ankunft in Jelenia Góra

Nach dem Frühstück näherten wir uns endgültig unserem Ziel, dem niederschlesischen Jelenia Góra, auf Deutsch bekannt unter dem Namen Hirschberg. Die Stadt liegt am Rande des Riesengebirges und ist Namensgeberin des landschaftlich reizvollen Hirschberger Tals. Bis zum Kriegsende war dies die Heimat der Familie meiner Mutter, genauer gesagt die Gegend um Jawor (deutsch Jauer). Nicht zuletzt deswegen hatte ich diesen Teil Polens bereits zuvor besucht und war heute zum dritten Mal auf der Schlesische Gebirgsbahn unterwegs, die durchaus als Highlight gelten darf in einem Land, das vor spektakulären Bahnstrecken nicht gerade wimmelt. Letzter Zwischenhalt war in Janowice Wielkie (von wo ich vor zwei Jahren eine schöne Bergwanderung unternommen hatte), ehe wir nach Durchfahrt des einzigen Tunnels pünktlich um halb zehn unsere Endstation erreichten.

Nach der Ankunft in Jelenia Góra nutzte ich die Gelegenheit, einige Abschiedsbilder von meinem rollenden Heim der letzten Stunden zu machen. An diesem Sonntagmorgen war der Bahnhof nahazu menschenleer; auch die wenigen Fahrgäste aus unserem Zug waren bald vom Bahnsteig verschwunden. Der Warschauer Zugteil würde seine Reise sogar noch bis Szklarska Poręba im Riesengebirge fortsetzen, ein beliebtes Ziel für Wander- und Wintersportfreunde. Für mich hieß es  aber zügig das Gleis zu wechseln, denn mit 17 Minuten war die Umstiegszeit in Richtung Deutschland nicht gerade üppig und duldete kein weiteres Besichtigungsprogramm. Ein so kurzer Übergang nach einer langen Nachtzugfahrt war natürlich ein gewisses Wagnis, aber bisher hatte ich mit der Pünktlichkeit in Polen immer gute Erfahrungen gemacht, was wohl nicht zuletzt an großzügig bemessenen Fahrplanreserven liegt.

Polnischer Schlafwagen im Bahnhof Jelenia Góra
Meine rollende Unterkunft nach Ankunft in Jelenia Góra (Hirschberg).

Über die Grenze nach Görlitz

Durch die Fußgängerunterführung gelangte ich zum anderen Bahnsteig, wo bereits der Dieseltriebwagen der niederschlesischen Eisenbahnen Koleje Dolnośląskie nach Görlitz wartete. Im Internet hatte ich gelesen, dass ein Fahrkartenkauf ohne Aufschlag an Bord des Zuges möglich sein sollte. In Anbetracht des kurzen Aufenthalts in Jelenia Góra hatte ich gar keine andere Wahl, als mich auf diese Information zu verlassen. Tatsächlich klappte es ohne Probleme und ich wurde vom Zugbegleiter freundlich auf Deutsch begrüßt. Ich erstand ein Euro-Neiße-Ticket, welches einen Tag lang zu beliebig vielen Fahrten im Grenzgebiet zwischen Deutschland, Polen und Tschechien berechtigt. Das Ticket kostet beim Kauf in Polen nur 25 Złoty (umgerechnet etwa sechs Euro), während beim Kauf in Deutschland 13 Euro fällig geworden wären. Der Triebwagen war bereits gut belegt, um nicht zu sagen rappelvoll, so dass ich mit einem Platz auf einem Klappsitz im Gang Vorlieb nehmen musste.

Triebwagen der niederschlesischen Eisenbahnen Koleje Dolnośląskie in Jelenia Gora
Triebwagen der niederschlesische Eisenbahnen Koleje Dolnośląskie in Jelenia Góra.

In etwa eineinhalbstündiger Fahrt ging es nun der deutschen Grenze entgegen. Die durchgängige Verbindung zwischen Jelenia Góra und Görlitz besteht wieder seit Dezember 2015 und wird offenbar gut von den Fahrgästen angenommen. Ein Hoffnungsschimmer im ansonsten arg dezimierten Zugverkehr zwischen Deutschland und Polen! Während wir durch die sanfte Hügellandschaft glitten, döste ich ein wenig vor mich hin. Die vorherrschenden Farben draußen waren Grau und Braun. Kurz vor dem Ziel erreichten wir Zgorzelec am polnischen Ufer der Neiße. Von hier war nur noch das Neißeviadukt zu überfahren, welches die Staatsgrenze markiert, ehe wir in Deutschlands östlichster Stadt Görlitz ankamen.

Nach der routinemäßigen Knipserei am Bahnhof machte ich mich bald auf in Richtung Zentrum. Es ging auf 12 Uhr und ich wollte den einstündigen Aufenthalt für ein Mittagessen nutzen. In Ermangelung eines geeigneten Restaurants mit Schlesischer bzw. Lausitzer Küche in fußläufger Entfernung blieb es mit Falafel allerdings bei Fast Food auf die Hand. Es war schon ungewohnt, das erste Mal nach sechs Wochen wieder auf Deutsch zu bestellen! Mit dem Essen setzte ich mich an den Rand der Fußgängerzone und genoß die Sonnenstrahlen, die sich gelegentlich zwischen den Wolken hindurchzwängten. Für einen Bummel durch Görlitz blieb leider keine Zeit. Ich war vor einigen Monaten allerdings schon einmal hiergewesen und kann den Besuch dieser tollen Stadt nur wärmstens empfehlen!

Blick in die Fußgängerzone in der Innenstadt von Görlitz
Sonntägliche Leere in der Fußgängerzone von Görlitz.

Über Dresden und Leipzig zurück nach Hause

Wieder zurück am Bahnhof stand mir nun der unspannendste Abschnitt der Rückfahrt bevor: Über Dresden und Leipzig sollte es zurück in das heimatliche Oldenburg gehen. Eigentlich hatte ich vorgehabt, ab Dresden den Eurocity Prag–Hamburg zu nutzen und den Abschluss meiner Reise stilecht im tschechischen Speisewagen zu begehen. Leider war dieser Zug bereits Wochen zuvor nahezu ausgebucht und die Fahrkarten entsprechend teuer. Selbst eine Freifahrt ließ sich nicht mehr einsetzen. Also hatte ich aus Finnland zähneknirschend die etwas öde Route über Leipzig gebucht. Immerhin konnte ich für diese ab Görlitz noch einen günstigen Sparpreis von 21,75 Euro ergattern. Nun denn: Um 12:45 Uhr ging es los mit dem Dreiländerexpress trilex.

Zug der Dreiländerbahn trilex nach Dresden im Bahnhof von Görlitz
Weiter ging es mit dem trilex („Dreiländerexpress“) nach Dresden.

Nach etwas über einer Stunde erreichten wir Dresden, wo ich bereits am Bahnhof Neustadt ausstieg. Dass Dresden eine wunderschöne Stadt ist, brauche ich nicht extra zu erwähnen; besonderes Lob verdienen allerdings seine Bahnhöfe. Neben dem prächtig sanierten Hauptbahnhof weiß auch die zweitgrößte Station auf der nördlichen Elbseite zu überzeugen. Die großzügige Umstiegszeit verbrachte ich mit der Erkundung der Wartehalle und des Bahnhofsvorplatzes.

Weiter in Richtung Leipzig ging es mit einem Triebwagen der DB, der wegen seiner auffälligen Form unter Bahnfans auch als Hamsterbacke oder Regiohamster bekannt ist. Der Zug war gerammelt voll mit Studenten und anderen Wochenendpendlern, so dass ich froh war, als wir nach etwa 90-minütger Fahrt endlich den Leipziger Hauptbahnhof erreichten. Der Kopfbahnhof beeindruckt mit seinen imposanten Ausmaßen immer wieder – flächenmäßig ist er sogar der größte in Europa! Dies steht allerdings im leichten Missverhältnis zum tatsächlichen Verkehrsaufkommen, insbesondere im Fernverkehr liegt Leipzig ein wenig abseits der großen Hauptachsen. Nach einer kurzen Runde über den Querbahnsteig bestieg ich den ungeliebten Doppelstock-Intercity in Richtung Emden.

Von der Bahn vollmundig als neue Generation des Fernverkehrs vermarktet, mutet der so bezeichnete Intercity 2 doch eher wie ein weiß angestrichener Regionalexpress an. Von der Geschwindigkeit her kommt es jedenfalls hin, denn hier ist bei IC2 und RE gleichermaßen bei 160 km/h Schluss. Auch einen Speisewagen oder ein Bordbistro sucht man vergeblich in den Doppelstockzügen. Stattdessen verweist die Bahn auf den mobilen Am-Platz-Service. Bei meiner Fahrt erwies sich dieser aber als höchst unzuverlässig: Zunächst einmal ließ er sich stundenlang nicht blicken, um dann – als er für ein einziges Mal kurz auftauchte – prompt meine Kaffeebestellung zu vergessen… Zum Glück hatte ich noch nicht bezahlt! Stattdessen hielt ich mich an meine Notverpflegung, die ich unterwegs in Dresden aufgetrieben hatte.

Seitenbacher-Energieriegel liegt auf Tastatur von Laptop
Endlich wieder was Vernünftiges zu essen!

Immerhin bietet der neue Intercity Steckdosen an jedem Platz und einen Klapptisch mit ausziehbarer Verlängerung, so dass ich ein wenig am letzten Tagesbericht aus Finnland arbeiten konnte. Ich hatte allerdings keine große und Lust und so schaffte ich auf den fast fünf Stunden bis Oldenburg gerade einmal zwei Absätze. Stattdessen schaute ich aus dem Fenster und hing den Erinnerungen an die zurückligende Reise nach. Kaum zu glauben, dass es wirklich sechs Wochen waren. Die Zeit verging wirklich wie im Flug. Oder, sollte ich besser sagen, wie im Zug?

Als wir gegen 21 Uhr Bremen verlassen, ist es so weit: Für die letzte halbe Stunde würde ich nun in umgekehrter Richtung auf dem Abschnitt unterwegs sein, auf dem mein kleines Abenteuer vor genau 42 Tagen begonnen hatte. Damit Schloss sich der Kreis. Mehr als 17.000 km auf europäischen Gleisen liegen hinter mir. Und das ohne größere Pannen oder Katastrophen. War es Zufall, Glück oder eine gute Planung? Ich weiß es nicht. Aber auf jeden Fall war nun ein guter Moment, um kurz innezuhalten. Schließlich kamen wir pünktlich in Oldenburg an – ich war wieder da!

Doppelstock-Intercity oder Intercity 2 in Oldenburg Hauptbahnhof
Wieder da! Während ich weg war, wurde der Bahnsteig mit komischen Holzständern vollgestellt.

Nachdem die Wiedersehensfreude am Bahnsteig groß war, erwartete mich zu Hause mit einem prall gefüllten „Gabentisch“ die nächste angenehme Überraschung. Verhungern war in den nächsten Tagen also ausgeschlossen! Vielen Dank an dieser Stelle an die freundlichen Helfer, die mir in der Heimat den Rücken frei gehalten haben. Damit ist WinterRail 2017 Geschichte – die Reise, jedoch nicht der Blog. Dieser bleibt als Tagebuch, Nachschlagewerk und Insprationsquelle bestehen. Außerdem wird es noch den ein oder anderen Beitrag zur Nachlese geben. Also, schaut gelegentlich mal wieder rein. Bis dahin sage ich:

Vielen Dank für euer Interesse und das virtuelle Mitreisen!

Sebastian.

Ein Tisch mit Essen, Getränken und Blumen
Überraschung: Zu Hause erwartete mich ein reich gedeckter Tisch.