Hauptgegenstand dieses Blogs ist eine winterliche Bahnreise durch Norwegen, Schweden und Finnland (gemeinhin Skandinavien genannt, geographisch präziser ist wohl die Bezeichnung Nordische Länder bzw. Fennoskandinavien). Das etwa fünf- bis sechswöchige Abenteuer soll im Wesentlichen mit Hilfe eines Interrail-Tickets durchgeführt werden, was eine gewisse Flexibilität gewährleistet. Die Route wird sich grob an einer Umrundung der Ostsee im Uhrzeigersinn orientieren.
Entgegen meiner bisherigen Praxis soll der Trip nicht von A bis Z durchgeplant werden und Raum für Spontanität lassen. Dennoch ist es gerade im hohen Norden – wo Taktverkehr und tägliche Zugverbindungen weitgehend unbekannt sind – unabdingbar sich Gedanken über mögliche Reiseketten zu machen, um nicht nachts bei -20°C irgendwo in der Wildnis zu stranden. Außerdem gilt es einen guten Kompromiss zu finden zwischen dem Wunsch alles zu sehen und dem zur Verfügung stehenden Budget an Zeit und Geld.
In diesem Beitrag soll es daher um die nötige Planung im Vorwege einer solchen Reise gehen. Gleich vorweg: Im konkreten Fall ist diese noch immer nicht abgeschlossen und daher als work in progress zu verstehen!
Die Wunschliste
Das Vorhaben eine bestimmte Region oder ein bestimmtes Land zu bereisen ist meist mit bestimmten Erwartungen und Sehnsüchten verknüpft. Es kann daher sinnvoll sein, sich vorher zu überlegen, was man auf der Reise erleben möchte und dies in Form einer konkreten Wunschliste zu formulieren (heute würde man wohl bucket list dazu sagen).
Gesagt, getan – hier kommt die entsprechende Liste für unsere kleine Winter-Expedition durch den hohen Norden:
- ein oder zwei Tage in den nordischen Hauptstädten Oslo, Stockholm und Helsinki verbringen
- jeweils mindestens eine Fahrt mit dem Nachtzug in den drei nordischen Ländern absolvieren
- legendäre Wintersport-Orte wie Falun, Östersund oder Åre besuchen
- eine Fahrt mit der Inlandsbanan von Östersund nach Mora genießen
- auf der Bergensbanen (Oslo–Bergen–Oslo) fahren und das norwegische Fjordland erkunden
- einen Zwischenstopp in Lillehammer einlegen, nicht nur (aber auch) wegen der famosen TV-Serie
- den König der Nachtzüge Stockholm–Narvik (ca. 1500 km) auf ganzer Strecke nutzen
- einen Abstecher auf die Lofoten machen
- circa eine Woche in einer einsamen Hütte in Finnisch-Lappland verbringen
- ganz wichtig: Polarlichter erleben
- die Nordischen Skiweltmeisterschaften in Lahti (Finnland) besuchen
- Rückreise über das Baltikum und jeweils einen Tag/Abend in Tallinn, Riga und Vilnius verbringen
- einen Abstecher nach Danzig und als krönender Abschluss noch eine Nachtzugfahrt in Polen
Puh – da ist ja schonmal ein ganz schöner Haufen zusammengekommen! Nun gilt es, eine grobe zeitliche Strukturierung dieser Wünsche bzw. Ziele vorzunehmen, um später einmal konkrete Reiseketten daraus formen zu können.
Grobe Zeitplanung
Woche 1–3:
Fröhliches Kreuzen und Queren durch Schweden und Norwegen; anschließend auf dem Landweg (via Luleå–Haparanda–Kemi) ab nach Finnland
Woche 4:
Hütte in Finnland, vornehmlich in der Region Inari/Ivalo
Woche 5+:
Den Rest von Finnland erkunden, Ski-WM in Lahti und geordneter Rückzug über Baltikum und Polen
Benötigte Tickets
An dieser Stelle ist es sinnvoll, sich Gedanken um die benötigten Fahrkarten für die jweiligen Reiseabschnitte zu machen. Die ersten drei Wochen ließen sich idealerweise mit einem 22-tägigen Interrail Global Pass abdecken. In der vierten Woche wird kein spezielles Ticket benötigt, da in Lappland sowieso nur Busse verkehren. Für den finnischen Teil der Woche 5 könnte sich unter Umständen noch ein One Country Pass mt drei oder vier Reisetagen lohnen, je nachdem welche Strecken man noch zurücklegen will.
Im Baltikum hingegen ist Interrail nicht gültig. Das würde sich aber auch nicht lohnen, denn das Bahnfahren in diesen Ländern ist gemeinhin sehr günstig – jedenfalls wenn man es mit Skandinavien oder Deutschland vergleicht. Letzteres gilt auch für Polen, also werden die entsprechenden Fahrten mit Einzeltickets zurückgelegt.
Mögliche Reiseketten
Nachdem der grobe zeitliche Ablauf der Reise steht und wir die benötigten Tickets ausgewählt haben, wartet nun der schwierigste Teil der Planung: Wir müssen unsere Wunschziele (siehe oben) zu sinnvollen und fahrplantechnisch realisierbaren Reiseketten verknüpfen. Mit dieser Aufgabe kann man zehn, hundert oder tausend Stunden verbringen und wird doch nie fertig sein. Merke: Die perfekte Route gibt es sowieso nicht und unterwegs kann immer mal wieder was schief gehen (Verspätung, Schneekatastrophe, Elchunfall, …). Es heißt daher genügend Puffer einzuplanen und Ausschau nach alternativen Routen zu halten. Außerdem sollte der Reiseplan immer noch einen gewissen Raum für spontane Abstecher oder Zwischenhalte lassen.
Drei unverzichtbare Hilfsmittel
Als ungemein nützlich für die Planung einer längeren Bahnreise hat sich das „heilige Dreigestirn“ des europäischen Schienenverkehrs erwiesen, welches jeder Interrailer sein Eigen nennen sollte:
- die Railmap Europe (Kümmerly+Frey),
- den European Rail Timetable (ehemals Thomas Cook), sowie
- das Buch Europe by Rail von Nicky Gardner und Susanne Kries.
Während man in der „Railmap Europe“ nachschauen kann, wohin man in Europa überhaupt mit der Bahn fahren kann, beantwortet der „European Rail Timetable“ die Frage, wann die Züge auf den jeweiligen Strecken fahren. In „Europe by Rail“ schließlich werden auf dieser Basis einzelne Verbindungen zu landschaftlich und kulturell spannende Reiserouten verknüpft und mit vielen Hintergrundinformationen zu den Orten und Gegenden rechts und links der Strecke versehen.
Damit ist „Europe by Rail“ der ideale Ausgangspunkt, um sich Inspiration für Reiseketten in der jeweiligen Zielregion zu holen. Zu den Nordischen Länder finden sich in der aktuellen Ausgabe (Juni 2016) sieben klassische Routen, welche als „Skandinavische Streifzüge“ bezeichnet werden (deutsche Übersetzung durch mich):
Route 25: Durch Dänemark nach Schweden
Hamburg – Kopenhagen – Malmö – Lund – Stockholm
Mindestreisedauer: 12 Std.
Route 26: Maritime Städtereise
Hamburg – Aarhus – Hirthals – (Fähre) – Kristiansand – Oslo
Mindestreisedauer: 7,5 Std. + 3,5 Std. Fähre + 4,5 Std.
Route 27: Skandinavien erleben
Kopenhagen – Malmö – Göteborg – Oslo – Bergen
Mindestreisedauer: 18 Std.
Route 28: Auf nach Norden zu den Lofoten
Oslo – Trondheim – Bodø – (Fähre) – Solvær
Mindestreisedauer: 18 Std. + 3,5 Std. Fähre
Route 29: Nachtzug nach Narvik
Stockholm – Umeå – Boden – Kiruna – Narvik
Mindestreisedauer: 20 Std.
Route 30: Um den Bottnischen Meerbusen
Boden – Luleå – (Bus) – Kemi – Oulu – Tampere – Turku – Helsinki
Mindestreisedauer: 0,5 Std. + 4 Std. Bus + 9,5 Std.
Route 31: Die Essenz Finnlands
Rovaniemi – Kemi – Oulu – Kuopio – Lahti – Helsinki
Mindestreisedauer: 12,5 Std.
Neben diesen Hauprouten werden auch einige Abstecher auf etwas weniger bekannten Strecken empfohlen. Ein interessantes Beispiel ist eine Tour rund um den größten See innerhalb der Europäischen Union, den Vänern in Schweden. Die Runde lässt sich als Tagestour von Göteborg aus absolvieren:*
Göteborg C ab 09:30
Mariestad an 11:54
Mariestad ab 14:07
Laxå an 14:53
Laxå ab 15:29
Kristinehamn an 16:15
Kristinehamn ab 16:36
Göteborg C an 19:45
Leider ist die Ankunft in Göteborg zu spät um den Nachtzug nach Duved zu erreichen (ab 19:29 Uhr). Außerdem dürfte der letzte Abschnitt ab Kristinehamn im tiefsten Winter wegen der frühen Dunkelheit eher unspannend sein – schade!
Ein Beispiel für eine Reisekette durch Mittelschweden
Inspiriert von der Vänern-Runde habe ich mir eine eigene, dreitägige Reisekette überlegt, welche bereits zwei Wünsche von der obigen Liste erfüllt: Ein längerer Aufenthalt in Falun sowie die Fahrt mit einem schwedischen Nachtzug. Außerdem enthält die Route eine eher weniger bekannte, aber landschaftlich reizvolle Nebenbahn, nämlich die Fryksdalsbanan von Kil nach Torsby.
Tag 1: Von Göteborg nach Karlstad
Los geht es um 09:15 Uhr in Göteborg über die Vänerbanan nach Kil (an 11:30 Uhr). Ein Teil der Strecke verläuft direkt am westlichen Ufer des Sees und verspricht einige schöne Ausblicke. Nach einer Mittagspause in Kil geht es dann um 12:50 Uhr weiter über die Fryksdalsbanan nach Torsby (an 14:02 Uhr). Die 4500-Seelen-Gemeinde kann mit keinen touristischen Highlight aufwarten, darum nehmen wir den direkten Gegenzug zurück (ab 14:20 Uhr) und landen um 15:58 Uhr an der Endstation Karlstad, wo wir den Tag ausklingen lassen und die Nacht verbringen.
Tag 2: Von Karlstad nach Falun
Heute geht es etwa früher los, nämlich bereits um 8:39 Uhr von Karlstads centralstation. Wir nehmen den direkten Zug mit der Nummer 7000, der von der privaten Gesellschaft Tågab betrieben wird (Interrail-Tickets sind gültig). Dieser erreicht Falun bereits um 12:12 Uhr, so dass uns der gesamte Nachmittag zur Besichtigung der ehemaligen Bergarbeiterstadt in der historischen Provinz Dalarna bleibt, wo wir auch übernachten.
Tag 3: Von Falun nach Åre und zurück mit dem Nachtzug
Nach der eher kürzeren Etappe gestern steht heute wieder das Bahnfahren im Vordergrund. Los geht es um 08:29 Uhr mit dem Regionalzug nach Gävle (an 09:31 Uhr). Die Strecke wurde erst im Dezember 2016 wieder von der schwedischen Staatsbahn SJ übernommen. Vorherige Betreiberin war die Gesellschaft Tåg i Bergslagen. Nach einer 25-minütigen Umstiegszeit besteigen wir den InterCity 80, welcher uns nach einer Fahrzeit von etwa über 5 Stunden in den bekannten Skiort Åre in der Provinz Jämtlands län bringt (an 15:07 Uhr). Die Augen offen halten sollte man auf den Abschnitten Bollnäs–Ånge und Östersund–Åre, welche landschaftlich als besonders reizvoll gelten. Nun bleiben uns etwas mehr als zweieinhalb Stunden in Åre. Dies sollte reichen, um die historische Åre Bergbana zu nutzen, welche die Besucher seit über 100 Jahren auf eine Höhe von 556 Metern über dem Meeresspiegel bringt. Dort sollte der ein oder andere lohnenswerte Ausblick warten. Zurück am Bahnhof steigt die Vorfreude auf eine lange Nachtzugfahrt, welche bereits um 17:51 Uhr beginnt und uns in mehr als 13 Stunden über Östersund und Stockholm zurück an den Aufgangsort Göteborg bringt (an 07:25 Uhr). Von hier könnte dann mittags eine neue Reisekette in Richtung Oslo starten…
Dies soll als Beispiel dienen, wie eine mehrtägige Reisekette aussehen kann. Ob sie praktisch umsetzbar ist, wird sich zeigen. Ein Problem besteht darin, dass die oben aufgeführten Züge teilweise nicht täglich verkehren, so dass die Route möglicherweise nicht mit den Etappen zuvor oder dannach harmoniert. Über dieses und andere Probleme bei der Reiseplanung, die insbesondere die Nordischen Länder betreffen, soll es im nächsten Abschnitt gehen.
Die Probleme
Norwegen, Schweden und Finnland haben eines gemeinsam: Je weiter man in den Norden vordringt, desto dünner wird die Besiedlung. Dies hat zur Folge, dass viele Bahn-, Bus- und Fährverbindungen nur ein- oder zweimal am Tag bedient werden und das oft auch nur an bestimmten Wochentagen. Die spärlichen Fahrpläne führen bei der Planung der Reiseroute immer wieder zu Kopfzerbrechen, wie im Folgenden anhand von zwei praktischen Beispielen demonstriert werden soll.
Beispiel 1: Von Trondheim nach Östersund
Eine elegante und landschaftlich reizvolle Möglichkeit zum Hin- und Herpendeln zwischen Norwegen und Schweden ist die Meråkerbanen von Trondheim nach Storlien, wo direkter Anschluss nach Östersund besteht. Allerdings wird diese Strecke derzeit nur zweimal pro Tag und Richtung bedient:
Trondheim ab 07:50 16:50
Storlien an 09:22 18:22
Storlien ab 09:42 18:47
Östersund C an 11:33 20:37
Östersund C ab 07:24 16:33
Storlien an 09:17 18:25
Storlien ab 09:28 18:30
Trondheim an 10:56 20:00
Leider sind die Abfahrts- und Ankunftszeiten in Trondheim nicht gerade kompatibel mit der Verbindung von/nach Bodø, was die ein oder andere Reisekette unmöglich macht. So fährt der Tagzug nach Bodø bereits um 07:38 Uhr ab, was natürlich im Winter ideal ist, da man einen Großteil der Strecke bei Tageslicht erlebt, aber eine zusätzliche Übernachtung in Trondheim erfordert, sofern man aus Richtung Östersund kommt. In Gegenrichtung erreicht der Nachtzug aus Bodø den Bahnhof Trondheim um 07:47 Uhr. Mit viel Glück könnte man den Zug nach Östersund (ab 07:50 Uhr) zwar schaffen, aber darauf verlassen würde ich mich nicht. Ein klassischer Nicht-Anschluss also.
Etwas besser sieht es in Östersund aus. Hier sollte ein Übergang von dem Nachtzug aus Göteborg bzw. Stockholm (an 06:42 Uhr) auf den morgendlichen Zug nach Trondheim problemlos möglich sein. In Gegenrichtung jedoch erreicht der Abendzug Östersund zu spät, um den Nachtzug (ab 19:27 Uhr) noch zu erwischen.
Beispiel 2: Verkehrstage
Ein weiteres Problem bei der Planung ist die Tatsache, dass im hohen Norden viele Züge nicht täglich verkehren. So machen beispielsweise alle Nachtzüge in Norwegen (bis auf Trondheim–Bodø) samstags Pause. Auch in Schweden wird das Angebot am Wochenende deutlich ausgedünnt. Ein Extrembeispiel ist der Nachtzug Göteborg–Duved und zurück, dessen Verkehrstage offenbar mit Hilfe eines Würfels bestimmt wurden.
Darüber hinaus kommt es bei Verkehrsmitteln, die im Prinzip jeden Tag verkehren, am Wochenende oft zu veränderten Fahrplänen. Beispiel gefällig? Die Schnellfähre Svolvær–Bodø verlässt den Lofoten-Hauptort nachmittags um 16:00 Uhr und kommt um 19:30 Uhr auf dem Festland in Bodø an – ideal um den Nachtzug nach Trondheim zu erreichen! Problem: Diese Verbindung besteht nur am Sonntag. An allen anderen Tagen fährt der Kahn schon um 06:30 Uhr in Svolvær los… nichts für Langschläfer also. Möchte man von der bequemen Sonntags-Verbindung profitieren, muss man die gesamte vorherige Reisekette darauf ausrichten. Erreicht man die Lofoten von Narvik aus, ist also sicherzustellen, dass die jeweiligen Züge/Busse/Boote von und nach Narvik auch an den entsprechenden Tagen zuvor (Samstag, Freitag, Donnerstag, … je nachdem wieviel Zeit man auf den Lofoten verbringen möchte) verkehren und – falls man mit dem Nachtzug aus Stockholm anreist – dass es noch freie Plätze im Sitz-, Liege- oder Schlafwagen gibt.
Fazit
Die Planung einer längeren Interrail-Reise kann eine harte Nuss sein, insbesondere wenn es in Regionen mit spärlichen Bahnverbindungen wie Norwegen, Schweden und Finnland geht. Hier heißt es sich im Vorwege mit den existierenden Verbindungen und Anschlussmöglichkeiten vertraut zu machen und dabei die Verkehrstage nicht außer Acht zu lassen. Am Ende ist es ratsam, für den Notfall immer noch ein paar Asse in Form von alternativen Routen im Ärmel zu haben.
Wie geht ihr die Planung einer Bahnreise an? Habt ihr praktische Tipps die dem Interrailer das Leben leichter machen? Dann rein damit in die Kommentare!
*) Hinweis: Alle Fahrplandaten gemäß European Rail Timetable, Ausgabe Winter 2016/2017, sowie Online-Reiseauskunft auf bahn.de und sj.se.