Neues Land, neues Glück? Der heutige Tag Stand im Zeichen einer langen Bahnfahrt, die mich in etwa zwölf Stunden von Mittelschweden in das norwegische Trondheim führte. Unterwegs legte ich einen ausgedehnten Zwischenstopp im Tiefschnee ein, und zwar in der bekannten Wintersportdestination Åre. Außerdem hatte ich Gelegenheit, im Zug überraschende Erkenntnisse zur skandinavischen Feier- und Trinkkultur zu sammeln.
Falun – Gävle – Åre – Storlien – Trondheim 782 km (total: 2.585 km)
Ihr kennt es schon: Der Wecker klingelte wieder viel zu früh, nämlich gegen 6:30 Uhr. Diesmal sollte ich nicht um die Endreinigung des Zimmers herumkommen, musste also noch ein bisschen Extrazeit einplanen. Außerdem gab es ja noch den Fußmarsch zum Bahnhof, und in Ruhe frühstücken wollte ich auch noch. Als alles erledigt war und die Sachen gepackt (mittlerweile stellte sich eine gewisse Routine ein), stiefelte ich bei leichten Minusgraden los zum Bahnhof. Dort angekommen fuhr nach kurzer Wartezeit mein Regionalzug nach Gävle ein.
Angekommen in Gävle (sprich: Jeffle) hatte ich etwa eine halbe Stunde Wartezeit bis zum nächsten Zug zu überbrücken, somit konnte ich mich noch kurz in der Gegend um den Bahnhof umschauen. Gävle mit seinen knapp 75.000 Einwohnern liegt unmittelbar an der Ostsee, somit hatte ich Schweden jetzt einmal von West nach Ost durchquert.
Feucht-fröhlich unterwegs nach Norden
Um kurz vor zehn erhielt dann der Intercity Einfahrt, der mich in die bekannte schwedische Wintersportdestination Åre bringen sollte. Der Zug kam aus Stockholm und war eine der wenigen klassischen Lok–Wagen-Garnituren die noch in Schweden unterwegs sind. Es gab eine Menge Zustiege, insbesondere kleine Grüppchen auf dem Weg in den Skiurlaub.
Im Intercity der schwedischen Bahn ist eine Platzreservierung zwar nicht obligatorisch, wird auf längeren Strecken aber empfohlen. Ich hatte allerdings am Abend zuvor einen Weg gefunden, wie man mit Hilfe der Online-Buchungsmaske auf der Webseite der SJ herausfinden kann, in welcher Ecke des Zuges es noch freie Plätze gibt. Und siehe da – die Methode hat tatsächlich funktioniert und ich landete in einem nahezu leeren Sitzbereich, während der Rest des Zuges proppenvoll war. Und das ganz ohne nervige Reservierungsgebühr!
Zufrieden über den erfolgreichen zivilen Ungehorsam richtete ich mich häuslich auf meinem Zweierplatz ein, sollte ich ab jetzt doch mehr als fünf Stunden hier verbringen. Wie mittlerweile in Schweden gewohnt war auch dieser Zug wieder sehr bequem, allerdings ein klein wenig überheizt. So konnte ich die gesamte Fahrt im T-Shirt verbringen, während es draußen hinterm Fenster kälter und kälter wurde. Gleichzeitig wurde die Landschaft immer beeindruckender und – vor allem – winterlicher! Nach und nach zeigte sich sogar die Sonne, zum ersten Mal seit meiner Abreise. Aber was sage ich, seht einfach selbst. Heute ist ja ein langer Bahntag, also gibt es entsprechend viele Zugfenster-Fotos.*
Bedingt durch die lange Reisezeit konnte ich in Ruhe den Zug erkunden und ein paar Sozialstudien anstellen. Herzstück des Zuges war das Bordbistro, welches allerdings eher wie ein winziger Supermarkt mit Selbstbedienung und Kassiererin aufgezogen ist. Mir fiel gleich der rege Strom von Reisenden von und zum Bistro auf, so dass ständig Bewegung in den Wagen war. Interessant: Fast jeder Schwede kam mit einer Dose Bier oder einem Fläschchen Wein aus dem Bistro zurück. Es gehört scheinbar zum guten Ton, sich auf dem Weg zum Skiurlaub ordentlich einen hinter die Binde zu kippen, frei nach dem Motto: Im Party-Express auf die Piste. Dementsprechend war auch die Stimmung in den vielen Jungs- und Mädelsgruppen im Zug, die eher an Jungegesellenabschied als an skandinavische Nüchtern- und Gelassenheit erinnerte. Generell finde ich es interessant zu beobachten, dass auch die staatlich verordnete Enthaltsamkeit dem menschlichen Drang nach dem gelegentlichen Rausch nichts anhaben kann.
Auch ich habe das Angebot im Bordbistro dankbar angenommen, blieb aber alkoholfrei. Schönes Detail: Wie in Skandinavien üblich gibt es auch im Zug für alle Heißgetränke einen Gratis-Refill. Das heißt, man zahlt im Endeffekt 22 Kronen (etwa 2,30 EUR) für zwei Kaffee, da kann man nicht meckern. Das Smörgås dazu war auch essbar und zimthaltiges Gebäck geht sowieso immer (mein interner Zimtschnecken-Counter dürfte bei 10+ stehen…)!
Angenehme Erfrischung in Östersund
Wichtigster Zwischenhalt entlang der Strecke war Östersund – auch ein bekannter Wintersportort und vor allem Biathlon-Fans ein Begriff. Hier hatte der Zug einen kurzen Aufenthalt, so konnte ich mir die Kamera schnappen und ein paar Fotos vom Bahnsteig aus machen. Nach mehreren Stunden bei Saunatemperaturen im Zug fühlte es sich beim Aussteigen an, als würde man gegen eine Wand laufen: Laut Wetterapp waren es -7 °C! Die Erfrischung tat sehr gut und machte neugierig auf das, was da temperaturtechnisch noch so kommen sollte. Östersund selbst liegt malerisch am Storsjön-See, ungefähr in der geographischen Mitte von Schweden, und ist definitiv einen Besuch wert. Genau das werde ich auch in etwa einer Woche tun. Heute ging es allerdings erstmal weiter. Also alle Mann wieder einsteigen, auch die zum Rauchen ausgestiegenen Partypeople da hinten (mein Bild der braven Schweden bröckelt…)!
Nach Östersund änderte sich schlagartig der Charakter der Landschaft. Die Sonne verschwand hinter einem Gemisch aus Wolken, Dunst und Nebel und es musste erst vor kurzer Zeit geschneit haben. Die tiefverschneiten Wälder durch die wir nun fuhren kamen meiner Vorstellung vom skandinavischen Wintermärchen schon sehr nahe! Dazwischen gab es wieder viele Seen zu sehen, natürlich komplett zugefroren und zum Teil sogar mit beschilderten Wegen versehen, die rege von mutigen Spaziergängern genutzt wurden.
Zwischenstation im Tiefschnee von Åre
Kurz nach drei Uhr kamen wir schließlich in Åre an. Hier war es ähnlich kalt wie in Östersund, die Luft war aber herrlich klar und ein unglaubliches Gefühl von Frische durchströmte die Lungen. Das kleine Städtchen Åre mit knapp 3.000 Einwohnern liegt am Fuße des Eineinhalbtausenders Åreskutan und ist komplett dem Wintersport gewidmet. Auch hier macht ein Weltcup regelmäßig Station, nämlich der im Ski alpin. Auch Weltmeisterschaften hat es hier schon mehrfach gegeben. Im Ort gibt es neben der üblichen Après-Ski-Bespaßung viele Geschäfte mit richtiger Winterbekleidung, und das zu erstaunlich günstigen Preisen. Vielleicht hätte ich mich einfach hier eindecken sollen, anstatt mein in Deutschland gekauftes Laien-Equipment mühsam nach Schweden zu schleppen?
Zum Hadern blieb jedoch keine Zeit, denn mein Aufenthalt in Åre betrug nur zweieinhalb Stunden, in denen ich noch ein wenig Bergfeeling erleben wollte. Zunächst gab es allerdings eine Enttäuschung, weigerte sich das Schließfach am Bahnhof doch beharrlich meine Kredit- und EC-Karten zu akzeptieren. Dies stellte sich aber am Ende als Glücksfall heraus, denn kurz hinter dem Bahnhof kam ich an einer privaten Gepäckannahmestelle vorbei die a) Bargeld akzeptierte und b) dabei noch günstiger war. Befreit von der schweren Last auf meinem Rücken schlenderte ich zur Talstation der Åre bergbana, welche bereits seit über einhundert Jahren Skifahrer und Wanderer auf den Berg befördert (allerdings längst nicht bis zum Gipfel; um dorthin zu gelangen, ist ein Umstieg in weitere Bahnen und Lifte nötig). Entgegen dem sonst üblichen Abmelken der Touristen, wie man es aus alpinen Skigebieten kennt, war die Fahrt sogar kostenlos!
Oben angekommen fand ich mich mitten auf der Skipiste wieder. Hier war es richtig eisig, was aber auch daran lag, dass die Schneekanonen auf Hochdruck liefen. Folglich war die Luft von feinen Eiskristallen durchsetzt und hatte nichts mehr von der Klarheit im Tal. Rechter Hand fiel sofort die Après-Ski-Hütte ins Auge (und Ohr), wo die Ballermann-Party ihrem Höhepunkt entgegen lief.
Ich bin dann noch ein wenig durch den Schnee gestapft, war mir allerdings nicht sicher, ob es wirklich klug ist, auf einer vielbefahrenen Abfahrtspiste spazieren zu gehen. Darum habe ich es bei einer kurzen Runde und einigen wenigen Fotos belassen. Mehr hätten meine absterbenden Finger, sowie meine Kamera, bei der zeitweise die Mechanik eingefroren war, sowieso nicht hergegeben. Also nahm ich die übernächste Bahn zurück in den Ort.
Zurück im Tal ging gerade der Tag gerade zu Ende: Die Sonne war bereits hinter den Bergen verschwunden und die blaue Stunde brach an. Am Bahnhof holte ich zunächst mein Gepäck ab und ging noch ein paar Kleinigkeiten im örtlichen Supermarkt einkaufen, um meine letzten schwedischen Kronen loszuwerden – so war jedenfalls der Plan, denn bezahlen konnte man wieder mal nur mit Plastik.
Hoffen und Bangen in Richtung Norwegen
Bei einem Blick auf die Anzeigetafel dann der Schock: Der Norrtåg nach Storlien, von wo es weiter nach Trondheim gehen sollte, war mit Verspätung angezeigt. Verspätung – nach Tagen in Schweden war dieser Begriff schon fast aus meinem Wortschatz verschwunden! Ausgerechnet dieser Zug, hatte ich doch in Storlien nur eine Umstiegszeit von fünf Minuten. Und natürlich war es die letzte Verbindung des Tages (es gibt ja auch insgesamt nur zwei; eine am frühen Morgen und eben diese am Abend). Würde dies also bedeuten, dass ich in Storlien an der norwegischen Grenze strande? Das hätte den ganzen weiteren Verlauf der Reise zerschossen, hatte ich doch schließlich schon die Unterkunft in Trondheim sowie die nachfolgenden Tag- und Nachtzüge reserviert.
Erst einaml durchatmen – irgendwie wird das schon klappen! Ich würde ja schließlich nicht der einzige Anschlussreisende nach Trondheim sein. Genau so war es dann auch. Der Zug fuhr mit etwa zehn Minuten Verspätung in Åre ab und die Zugbegleiterin erklärte mir und vielen anderen Fahrgästen, dass man zwar noch nicht wisse, ob der Anschlusszug warte, wir aber auf jeden Fall noch heute in Trondheim ankämen – zur Not eben mit dem Taxi. In Storlien dann Aufatmen: Der Triebwagen der NSB wartete abfahrbereit an der anderen Bahnsteigkante. Und war übrigens noch komplett leer, denn außer der Umsteigenden scheint diese Verbindung kein Schwein zu nutzen.
Es begann die Fahrt über eine spektakuläre Strecke, die uns in etwa 100 km Länge hinunter auf Meeresniveau bringen sollte. Es gab nur ein Problem: Es war stockdunkel, von daher konnte man die Landschaft nur anhand einiger hell erleuchteter Ortschaften an den Hängen der Berge erahnen. Seit dem Grenzübertritt stand ein kostenfreies WLAN zur Verfügung, was ich umgehend nutzte um am Blogartikel zu schreiben und Fotos zu sichten. Aporpos Grenzübertritt: Die schwedisch-norwegische Grenze ist zwar eine Außengrenze der EU, aber was hat man davon gemerkt? Genau nichts. So kann es eben auch gehen. Gegen 20 Uhr kamen wir in Trondheim Sentralstasjon an und damit endete eine fast zwölfstündige, erlebnisreiche Bahnetappe.
Ein Abend in Trondheim
Nach der eisigen Episode in Åre fühlten sie die null Grad von Trondheim regelrecht warm an. So warm, dass ich sogar auf Handschuhe verzeichten konnte! Ob der späten Stunde ging ich ohne weitere Umschweife direkt zum Hotel. Das war ein Klacks, denn das P-Hotel Brattøra lag direkt neben dem Bahnhofsgebäude am Ufer des Flusses Nidelva mit seinen bekannten Lagerhäusern aus Holz. Auch zur Innenstadt war es von hier nicht weit. Da es morgen sehr früh weiterging, war vor allem die Lage zum Bahnhof Gold wert. Außerdem war die Nacht im Einzelzimmer mit eigenem Bad für 649 Kronen (diesmal norwegische, aber der Wechselkurs ist fast der gleiche) unter Berücksichtigung, dass wir uns im teuersten Land Europas befinden, ein Schnäppchen.
Nur die Sache mit dem Frühstück war etwas sonderbar. Dieses sollte angeblich am nächsten Morgen an meiner Tür hängen. Nachdem ich mein Zimmer am Ende eines schier endlosen Flurs erreicht hatte, hing dort eine kleine Plastiktüte mit einem Butterbrot und einer quitschsüßen Orangenbrause. Das versteht man in Norwegen also unter Frühstück? Nicht sicher, ob das ernst gemeint war, habe ich das Brot umgehend verdrückt, schließlich hatte ich von der langen Fahrt noch Hunger. Am nächsten Morgen stellte sich heraus, dass das tatsächlich das Frühstück war, hing doch nochmal eine Tüte gleichen Inhalts an der Tür.
Trondheim sollte für mich eigentlich reine Schlafstätte ohne weitere touristische Ambitionen sein. Da ich aber eh noch ein paar Sachen für den morgigen Tag einkaufen wollte, habe ich doch noch einen Spaziergang durch die Stadt gemacht und ein paar Fotos geschossen. Hauptsehenswürdigkeit ist der imposante Nidarosdom, nationales Heiligtum und eine der größten Kirchen in Skandinavien. Bemerkenswerterweise war, obwohl Donnerstagabend und schon recht spät, noch einiges los. Gröhlende Jugendgruppen zogen durch die Straßen, überall waren Clubs geöffnet und aus vielen Wohnungen schallte laute Musik. Trondheim muss wohl eine Art Partyhochburg sein, oder habe irgendeinen speziellen Tag erwischt? Jedenfalls bin ich beim nächtlichen Fotografieren noch nie so oft von Betrunkenen „angepöbelt“ worden – und das in einem Land, in dem Alkohol noch teurer und noch verteufelter ist als in Schweden! Das scheint die Leute aber nicht davon abzuhalten, ihm fröhlich zuzusprechen.
Wie gehabt verabschiede ich mich nach diesem langen Bericht mit einer kleinen Auswahl von Nachtfotos, heute aus dem sehenswerten Zentrum von Trondheim. Morgen beginnt das Abenteuer Skandinavischer Winter dann wirklich: Es geht es zum ersten Mal hoch zum Polarkreis und darüber hinaus, nämlich nach Bodø.
*) Brauchbare Fotos aus einem fahrenden Zug zu machen ist leider ziemlich schwierig. Vor allem, wenn auch noch die Fenster dreckig sind, wie bislang immer auf dieser Reise der Fall. Also sorry für die lausige Bildqualität!