Heute nehme ich euch mit auf die Reise von der estnischen Hauptstadt Tallinn in die lettische Kapitale Riga. Dazu stand eine gemütliche Zugfahrt mit ausgedehntem Zwischenstopp in der Grenzstadt Valga/Valka an. Dort betätigte ich mich als Grenzgänger und hatte die Gelegenheit, die ersten Schritte auf lettischem Boden zu machen. Wieder zurück im estnischen Teil der Doppelstadt war es dann so weit für den „offiziellen“ Grenzübertritt in einem rumpelndem Triebwagen aus vergangenen Sowjetzeiten.
Tallinn – Valga/Valka – Riga 441 km (total: 14.627 km)
Nach gewohnt kurzer Nacht wachte ich gegen halb sieben in meiner improvisierten Hostel-Bruchbude auf. Zu dieser frühen Stunde war ich natürlich der einzige, der schon auf den Beinen war. Nach einem gemütlichen Frühstück in der leicht chaotischen, aber immerhin passabel ausgestatteten Küche, machte ich mich auf den Weg in Richtung Bahnhof. Dabei hatte ich die Gelegenheit, mit dem Rathaus wenigstens eine Sehenswürdigkeit Tallinns bei Tageslicht zu verewigen.
Da ich den Bahnhof ja bereits gestern erkundet hatte, fand ich den Weg schnell und hatte noch etwas Zeit, mir einen zweiten Kaffee zu besorgen und einige Bahnhofsmotive zu fotografieren. Gegen acht Uhr bestieg ich schließlich den modernen Einheitstriebwagen der estnischen Bahn, der mich in etwa zweieinhalbstündiger Fahrt an die lettische Grenze bringen sollte.
Unterwegs war die Landschaft von einer dünnen Schneedecke überzogen. Der Winter blieb mir unerwarteterweise also weiterhin treu. Der Zug machte von Innen einen sauberen und neuwertigen Eindruck. Dank des russischen Breitspurprofils kam auch bei 2+3-Bestuhlung kein Engegefühl auf. Zu meiner Überraschung war die Auslastung gut und an allen Unterwegsbahnhöfen kam es zu nennenswerten Fahrgastwechseln. Wichtigste Zwischenstation war Tartu, Estlands zweitgrößte Stadt und bedeutender Universitätsstandort. Hier wechselte der Zug seine Nummer, was aber keine weitere Auswirkung auf die Fahrgäste hatte. Ein interessantes, für Osteuropa typsiches Detail an der Strecke waren die uniformierten Bahnhofsvorsteher, die mit ihrer roten Kelle an jeder Station standen, um den Zug abzufertigen.
Pünktlich um kurz vor halb zwölf kamen wir in Valga an. Hier hatte ich nun etwas über drei Stunden Aufenthalt, ehe es mit dem Nachmittagszug nach Riga weitergehen sollte. Valga ist ein überschaubares Städtchen mit kaum mehr als 10.000 Einwohnern. Durch seine Bedeutung als Grenzstation hat der Bahnhof aber ein beachtliches Ausmaß und war dank EU-Förderung frisch saniert und in hervorragendem Zustand. Auch das Preisniveau stimmte: Für die Schließfachnutzung war lediglich ein Pfand von einem Euro zu entrichten, der Toilettenbesuch schlug mit verkraftbaren 20 Cent zu Buche.
Ich machte mich nun auf, den Ort ein wenig näher unter die Lupe zu nehmen. Außer zweier Kirchen und einiger verfallender Holzhäuser hatte Valga aber kaum Spannendes zu bieten, und so fand ich mich bald an der Grenze zur lettischen Schwesterstadt Valka wieder (Stadtmarketing Valga/Valka: One city, two countries). Diese war problemlos fußläufig zu überqueren und so machte ich einen kleinen ersten Abstecher in die mittlere der drei baltischen Republiken. Eines stach sofort in Auga: Die Alkohlpreise in Lettland mussten deutlich niedriger als in Estland sein, denn Valka war von Spirituosengeschäften nur so zugepflastert. Auch außerhalb Skandinaviens blieb die Beschaffung alkoholischer Getränke also wichtiges Thema entlang meiner Reiseroute.
Nachdem ich als Fremder genug skeptische Blicke der örtlichen Bevölkerung auf mich gezogen hatte, machte ich mich auf den Rückweg nach Estland und zum Bahnhof. Dort kehrte ich in das kleine Bahnhofsbistro ein, welches ich mir schon am Abend zuvor ausgeguckt hatte. Für schmales Geld stärkte ich mich dort mit einem leckeren, frisch zubereiteten Wrap, Pfannkuchen und Cappuccino. Die restliche Wartezeit bis zur Abfahrt meines Zuges verbrachte ich mit dem Sortieren und Bearbeiten von Fotos.
Als ich den Bahnsteig bei mittlerweile blauem Himmel betrat, wartete bereits der farbenfrohe Dieseltriebzug der lettischen Bahn. Verglichen mit seinem neumodischen estnischen Pendent war dieser ein ganz anderer „Schnack“ und atmete noch den Geist längst vergangener Sowjetzeiten. Für mich hat das aber durchaus seinen Reiz und ich freute mich auf eine rumpelnde Fahrt ohne moderne Annehmlichkeiten wie eine Klimaanlage. Nachdem ich bei der jungen, aber wortkargen Zugbegleiterin eine winzige Fahrkarte erworben hatte, konnte die Reise in das etwa 170 km entfernte Riga losgehen. Schienenstoß für Schienenstoß bahnten wir uns unseren Weg: Tack-Tack, Tack-Tack, Tack-Tack, …
Zu meiner großen Überraschung gab es trotz des altertümlichen Charmes ein hervorragend funktionierend WLAN im Zug. So kam es zu der kuriosen Situation, dass ich in einem alten Sowjetzug saß und dabei YouTube-Videos schaute. Passend zum heutigen Weltfrauentag erfreute ich mich unter anderem an dieser schönen Coverversion eines alten Fleetwood-Mac-Klassikers von den Cranberries.
Die Fahrt verlief hauptsächlich durch menschenleere Gegenden mit viel Wald. Anfangs noch recht flach, wurde die Landschaft vor Riga deutlich profilierter und wir durchfuhren das Flusstal der Gauja samt zugehörigen Nationalpark. Nach wie vor lag draußen Schnee und der Blick aus dem Fenster machte Lust auf einen Winterspaziergang.
Am frühen Abend erreichten wir schließlich den Bahnhof von Riga. Ganz im Gegensatz zu der provinziell wirkenden Station von Tallinn, hatte dieser die Ausmaße eines wahren Hauptbahnhofes und war auch entsprechend stark von Reisenden frequentiert. Auch das Zugangebot war deutlich größer als einer Gegend, wo die Eisenbahn nur eine untergeordnete Rolle im öffentlichen Personenverkehr spielt, gedacht.
Nachdem ich den Bahnhof ausgiebig erkundet hatte, machte ich mich auf den Weg zu meiner heutigen Unterkunft, dem Riga Hostel. Dieses war direkt gegenüber des Bahnhofsvorplatzes gelegen, in der vierten Etage über der örtlichen McDonald’s-Filiale. Nach der eher enttäuschenden Erfahrung mit dem Hostel in Tallinn, erwartete mich diesmal das komplette Gegenteil: Extrem freundliches und professionelles Personal, eine Küche mit Kaffee, Tee und Milch zur freien Verfügung, sowie ein geräumiges Doppelzimmer, welches manchem Hotel zur Ehre gereicht hätte. Und das alles für gerade einmal 16 Euro pro Nacht – Balsam für meinen Skandinavien-geschädigten Geldbeutel. So brauchte ich nicht lange zu überlegen und buchte gleich eine zweite Nacht dazu, nachdem ich im Internet vorsorglich erst einmal nur für eine Nacht reserviert hatte (man lernt schließlich aus seinen schlechten Erfahrungen).
Nach dem Zimmerbezug machte ich mich auf zu einer ersten Runde durch die Stadt. Dabei kam es zu einer Premiere: Ich habe mich entschieden, die Kamera einmal zuhause zu lassen und Riga frei von dem ständigen „Foto-Druck“ auf mich wirken zu lassen. Zum Fotografieren würde ich schließlich auch noch am nächsten Tag genügend Zeit haben. Daher endet der Bericht an dieser Stelle und für eine ausführliche Fotodokumentation verweise ich auf morgen. Als erster Eindruck von Riga nur so viel: Die Stadt hat mir auf Anhieb sehr gut gefallen und wirkt überraschend urban, monumental und lebendig – ganz anders als das puppenstubenartige Tallinn! Außerdem hat Riga einen deutlich größeren „Ost-Charme“, der mich in vielerlei Hinsicht an meinen (sehr tollen!) Besuch in Kiew vor einigen Monaten erinnerte.
Ach, ein letztes (Handy-)Bild gibt es dann doch: Unterwegs stärkte ich mich im lokalen Fast-Food-Restaurant Pelmeni XL, in dem es die titelgebenden Teigtaschen in vielen Varianten nach Gewicht, sowie weitere osteuropäische Leckereien wie Borschtsch und Soljanka zur Selbstbedienung gab. Auch hier wurden wieder Erinnerungen an die Ukraine wach – dort war es die Kette Puzata Hata, die durch ein ähnliches gastronomisches Konzept mittels SB und Fingerzeig jenseits aller Sprachbarrieren einen einfachen Zugang zu phantastischer landestypischer Küche gewährleistete. Mit diesen Gaumenfreuden verabschiede ich mich nun wirklich für heute und sage: Bis bald, dann mit einer Menge Fotos und Impressionen aus der Rigaer Altstadt.