Hallo und willkommen zu Tag 35! Diesen Sonntag vebrachte ich bei strahlend blauem Himmel zunächst mit einer ausgedehnten Bahnfahrt, ehe ich am späten Mittag an meinem heutigen Zielort Turku/Åbo aufschlug. Die historische Hauptstadt Finnlands, heute vor allem als Universitäts- und Hafenstadt von Bedeutung, zog mich sofort in ihren Bann. Ich verbrachte dort einen tollen Nachmittag und Abend, welcher bei dem hervorragenden Wetter auch fotografisch nicht unergiebig war. Wie immer wünsche ich euch viel Spaß beim Lesen und Betrachten der Bilder!
Heutige Route:
Joensuu – Pieksämäki – Tampere – Turku
Gefahrene Kilometer:
586 (total: 13.905)
Für die Zugverbindung, die ich mir heute ausgesucht hatte, war einmal mehr frühes Aufstehen angesagt. Das war aber auch in Ordnung so, denn ich wollte ja schließlich noch etwas von meinem Zielort, der ehemaligen finnischen Hauptstadt Turku haben. Aber bis dahin war der Weg noch lang. Zunächst stand ein Fußmarsch zum Bahnhof an, bei dem ich einige Sehenwürdigkeiten von Joensuu noch einmal im Lichte der Morgendämmerung verewigen konnte. Der Morgen übrigens war knackig kalt und der blaue Himmel versprach einen phantastischen Wintertag. Umso mehr ärgerte es mich, dass ich die Stadt mit ihrem idyllischen See schon wieder verlassen musste…
Doch es nützte nix, ich war dem strengen Regiment meines Zeitplans unterworfen. Am Bahnhof wartete bereits die Regionalbahn nach Pieksämäki. Zum ersten Mal seit einigen Wochen würde ich also wieder mit einem Dieselfahrzeug unterwegs sein. Fast schon eine Seltenheit hier oben, wo der Elektrifizierungsgrad traditionell hoch ist. Im Folgenden ein paar Impressionen von Zug und Strecke. Noch herrschte unterwegs der Winter, das würde sich aber schon bald ändern.
In Pieksämäki erwartete mich ein strahlend blauer Himmel und ich hatte genügend Zeit, um mir kurz die Beine zu vertreten. Die Stadt als solche ist zwar nur ein kleines Kaff mit weniger als 20.000 Einwohnern, der Bahnhof hat aber eine große überregionale Bedeutung als Kreuzungspunkt der Nord-Süd- und der Ost-West-Achse durch das finnische Kernland.
Als nächstes bestieg ich den Intercity nach Tampere und damit bekanntes Terrain. Diesmal ließ ich mich im Oberdeck des DuettoPlus-Speisewagens nieder und fand dort einen sehr komfortablen Arbeitsplatz mit geräumigen „Schreibtisch“ und lederbezogenen „Chefsessel“ vor – ein weiteres dieser vielen kleinen, genialen Details in den finnischen Bahnen! Bei der vorletzten nach Dutzenden Kontrollen meines Interrail-Tickets dann eine doppelte Premiere: Zum ersten Mal musste ich meinen Ausweis vorzeigen und zum ersten Mal wurde ich (aus Interesse) auf meinen Reiseverlauf und die ungewöhnliche Reisezeit im Winter angesprochen. Ansonsten verlief die Fahrt unspektakulär und wir kamen zur Mittagszeit in Tampere (bzw. Tammerfors wie es auf Schwedisch heißt) an. Hier war es dann vorbei mit dem Winter – keinerlei Anzeichen von Schnee mehr und durch die kräftig strahlende Sonne lag ein erster Hauch von Frühling in der Luft!
In Tampere hatte ich wieder einen bequemen 20-Minuten-Umstieg, der Zeit für eine kleine Bahnhofsbesichtigung ließ. Finnlands drittgrößte Stadt ist mit Sicherheit auch einen längeren Zwischenstopp wert, auf dieser Reise war das allerdings nicht mehr drin. Also stieg ich in den nächsten Zug – wieder der bekannte Intercity – und sie konnte losgehen, die letzte Fahrt mit meinem Interrail-Ticket! Das Wetter war nach wie vor phantastisch und die Unterwegs-Fotos ohne Eis und Schnee sprachen eine ganz andere Sprache als in den Wochen zuvor. Das lag auch am Landschaftsbild, welches sich mittlerweile von dichtem Wald zu weiten Feldern und Wiesen gewandelt hatte.
Gegen zwei Uhr nachmittags und nach wieder einmal knapp 600 km kreuz und quer durch Finnland kam ich schließlich an meinem Zielort Turku (schwedisch Åbo) an. Nach der obligatorischen Bahnhofsbesichtigung machte ich mich schwer bepackt auf zu meiner Unterkunft, die diesmal mit etwa 3 km ein gutes Stück entfernt lag – was tut man nicht alles für eine günstige Schlafgelegenheit! Unterwegs sammelte ich erste Eindrücke der Stadt, die an der Mündung des Flusses Aurajoki in die Ostsee liegt und dadurch einen deutlich maritimen Charakter hat. Der Aurajoki teilt die Stadt in zwei Hälften. Im lokalen Dialekt spricht man von diesseits des Flusses für den südlichen Teil mit der historischen Altstadt und jenseits des Flusses für den jüngeren nördlichen Teil – unabhängig davon, auf welcher Seite man sich gerade befindet, die Bezeichnungen sind also absolut!
Nachdem ich den Fluss fast bist zum Fährhafen an der Mündung entlang gelaufen war, stand ich schließlich vor meinem Heim für die kommende Nacht. Nach Stockholm handelte es sich zum zweiten Mal um eine Jugendherberge auf einem Schiff, diesmal die S/S Bore, die noch bis ins Jahr 2010 zunächst als Autofähre und später als Kreuzfahrtschiff in Betrieb war. Zu meiner Freude stellte ich fest, das mit eine Einzelkabine zugeteilt wurde. Diese lag ganz am Ende, direkt am Heck des Schiffes und war entsprechend erst nach einem langen Gang durch die verwinkelten Flure zu erreichen.
Als ich mich in meinem Zimmer eingerichtet und mich kurz orientiert hatte, schnappte ich mir wie üblich meinen Tagesrucksack (in welchen ich schonmal vorsorglich mein Stativ packte) und machte mich auf zur Stadtbesichtigung. An der Rezeption lagen einige Flyer mit verschiedenen Rundgängen aus und ich entschied mich für die Romantik-Tour. Damit war übrigens nicht Baustil gemeint, aber auf den ersten Blick versprach diese Runde auch für den Alleinreisenden einen umfassenden Eindruck der Stadt. Nachdem ich den Großsegler Suomen Joutsen und das Seefahrtsmuseum Forum marinum (mit dem Riesen-Gänseblümchen davor) passiert hatte, hieß es zunächst einmal mit der kostenlosen Personenfähre zur Altstadt überzusetzen, also diesseits des Flusses. Auf meinem Weg kam ich nun unter anderem der Martinskirche, dem Paavo-Nurmi-Stadion und einigen alten Holzhäusern in Blassgelb vorbei, was so etwas wie das finnische Pendent zum Falunrot zu sein scheint. Ich erreichte schließlich einen Aussichtspunkt am Denkmal des Turkuer Industriellen Gustav Albert Petrelius. Zu meiner Überraschung stellte ich fest, dass Turku recht profiliert und felsig ist. Auf diversen Treppen immer wieder auf und ab und es wunderte mich nicht mehr, dass ein Tourenvorschlag mit „Turku in 1000 Stufen“ (oder so ähnlich) betitelt war.
Der Weg führte mich weiter zum mittelalterlichen Dom und dem sehr hübschen umliegenden Häuserensemble. Die Ausmaße des Doms haben mich absolut beeindruckt und zeugen von der großen historischen Bedeutung Turkus. Im Innern herrschte die für protestantische Kirchen übliche Nüchternheit vor, welche das Prunk und Protz gewohnte katholische Auge immer etwas überrascht, aber einen solchen Ort gerade zu etwas Besonderen macht. Anschließend schlenderte ich noch durch das angrenzende Universitätsviertel und warf insbesondere einen Blick auf die schwedischsprachige Åbo Akademi, diese kannte ich nämlich aus vielen Veröffentlichungen aus meinem Fachgebiet. Mit gefiel Turku mittlerweile ausgesprochen gut. Für nordische Verhältnisse war die Stadt architektonisch wirklich eine Perle und versprühte – nicht zuletzt durch die vielen Studenten – eine urbane, aber dennoch gemütliche und freundliche Atmosphäre.
Nach einem erneuten Wechsel der Flussseite war nun das weltliche Zentrum mit dem großflächigen Marktplatz an der Reihe. Dort stärkte ich mich auch mit Kaffee und Pulla aus dem nächsten Kiosk, welche ich zum Aufwärmen in einer Einkaufspassage zu mir nahm. Dort gab es auch ein freies WLAN und ich verdaddelte mich ein wenig auf dem Handy. Dabei bemerkte ich nicht, wie die Passage schloss und die Türen automatisch versperrt wurden. Ich war also eingeschlossen! Nachdem ich etwas besorgt, aber auch belustigt alle Türen gecheckt und kreuz und quer durch die Passage gelaufen war, entdeckte ich in einem Hinterraum die Mitarbeiter eines Restaurants, die gerade Feierabend machen wollten. Sie erklärten mir die Funktionsweise des roten Notfallknopfes und ich war wieder frei. Draußen erwartete mich mittlerweile die Dämmerung und ich konnte ein paar nette Aufnahmen während der blauen Stunde machen.
Im Folgenden, wiederum diesseits des Flusses, zog es mich zum Vartiovuori-Observatorium, welches einen schönen Ausblick auf das abendliche Turku versprach. Und so war es dann auch, von hier oben konnte man wunderschön das alte und das neue Zentrum betrachten und mir gelangen einige Fotos mit hübschen Farbverläufen am Horizont.
Wieder unten angekommen brannte ich noch ein paar weitere nächtliche Motive auf den Chip und kehrte dann in einen Supermarkt ein, um mich um das Abendessen und die üblichen Einkäufe für den nächsten Tag zu kümmern. Mit diesen machte ich mich dann auf den langen Fußmarsch zurück zu meiner schwimmenden Unterkunft, welche ich ob der Kälte und ob des knurrenden Magens im Laufschritt zurücklegte. Dort angekommen ließ ich den Abend im Gemeinschaftsraum ausklingen und war zufrieden über einen tollen Tag in einer unerwartet schönen Stadt! Ein wenig getrübt wurde die Freude nur von dem teilweise einmal mehr etwas sonderbaren Publikum in der Jugendherberge, was üble Erinnerungen an Oslo weckte… Damit sage ich Tschüss für heute und entschuldige mich für die große Verspätung, die mit dem Ausfall meiner Fähre nach Tallinn zusammenhängt. Davon aber mehr an anderer Stelle!