Hallo und herzlich willkommen zum Tag 32, der ganz im Zeichen des Wintersports stand! Nachdem ich am frühen Morgen Helsinki mit dem Nachtzug erreicht hatte, ging es direkt weiter nach Lahti. Dort stand ein Besuch der Nordischen Skiweltmeisterschaften auf dem Programm und ich konnte die Langlauf-Staffel der Damen und das Skispringen von der Großschanze hautnah miterleben – für mich, als alter Wintersport-Gucker, natürlich ein besonderes Erlebnis. Mehr dazu im folgenden Bericht – Viel Spaß beim Lesen!
Heutige Route:
Helsinki – Lahti – Tikkurila – (Nachtzug) – Oulu
Gefahrene Kilometer:
856 (total: 12.370)
Nach einer kurzen, aber angenehmen Nacht stand ich gegen sieben Uhr auf. Das Bett war wirklich sehr bequem und vor allem – dem finnischen Breitspurprofil sei Dank – ausreichend lang! Wir hatten noch etwa zwei Stunden Fahrt vor uns und ich suchte erst einmal die Dusche auf. Diese war im Gegensatz zu ihrem Pendent im schwedischen Nachtzug winzig, aber auch hier gab es angenehm warmes Wasser, und so konnte ich einigermaßen erfrischt in den Tag starten.
Mein nächstes Ziel war das Bordrestaurant. Hier entschied ich mich für das Frühstücksangebot: Kaffee, Saft und Porridge. Bei letzterem stammte die Fruchtgarnitur allerdings aus der Tiefkühlung und war noch alles andere als aufgetaut. Ich nutzte die Zeit bis zur Ankunft um noch ein wenig am Blog zu arbeiten (das war gestern Abend nämlich ausgefallen) und den Rest des Speisewagens zu erkunden. Auch dieser bestand aus zwei Stockwerken und wird von der finnischen Bahn als DuettoPlus bezeichnet. Im Oberdeck gab es eine interessante Platzanordnung, denn auf einer Seite waren die Sitze längs zur Fahrtrichtung.
Nach der Ankunft in Helsinki verabschiedete ich mich von meinem Abteilgenossen Ohto und hatte nun etwa eine halbe Stunde Zeit für einen schnellen Rundgang durch den Bahnhof. Mit seinen imposanten Ausmaßen und dem regen Zugverkehr versprühte dieser Großstadtatmosphäre – der Kontrast zum einsamen Lappland könnte nicht größer sein! Übrigens herrschten in Helsinki leichte Plusgrade und es lag kein Schnee. Auch dies fühlte sich nach zwei Wochen mit perfektem Winterwetter sehr ungewohnt an.
Auf dem Nachbargleis konnte ich den Allegro ablichten, der seit einigen Jahren für eine komfortable Anbindung an St. Petersburg sorgt. Mein ursprüngliche Idee war, mit genau diesem Zug zu fahren und die Runde um die Ostsee mit einem Abstecher in die zweitgrößte (und wie viele sagen, schönste) russische Stadt zu komplettieren. Doch leider waren die Vorlaufzeiten für ein Visum zu lang für meine relativ kurzfristige Reiseplanung, und so musste ich das Projekt Russland auf einen späteren Zeitpunkt verschieben – schade!
Nachdem ich mich noch mit einem Croissant versorgt hatte, ging ich schließlich zum Gleis, wo der kurze Regionalzug nach Lahti bereits wartete. Beim Fotografieren wurde ich von eine offensichtlich etwas verwirrten Frau angesprochen, die mich mit einer wüsten Schimpftirade überzog (warum auch immer) und mir nicht mehr von der Seite wich. Ich flüchtete mich schließlich in den Zug, wodurch ich sie abschütteln konnte. Der Triebwagen war einfach gehalten und WLAN gab es auch nicht, aber angesichts der nur einstündigen Fahrt war das auszuhalten. Unterwegs dämmerte ich vor mich hin – die Nacht war wirklich zu kurz gewesen!
Nach der Ankunft in Lahti machte ich es mir zunächst im Bahnhofscafé bequem und vollendete den letzten Blogeintrag. Als ich damit endlich fertig war, deponierte ich meinen Rucksack in das letzte freie Schließfach (mit 3 Euro pro Tag wirklich günstig!) und machte mich auf in Richtung Stadt; genauer gesagt zu den Nordischen Skiweltmeisterschaften – diese waren nämlich der eigentliche Grund für meinen Besuch in Lahti! Das Wetter allerdings war einem solchen Wintersport-Großereignis nicht angemessen. Statt eines Wintermärchens gab es Temperaturen um den Gefrierpunkt und die kläglichen Schneereste hatten sich in einen gräulichen Matsch verwandelt. Pissfeuchtes Tauwetter – diese Schattenseite des Winters hatte ich schon fast aus meinem Gedächtnis verbannt, hier war sie leider Realität…
Beim Rundgang durch das Zentrum stellte ich fest, dass man auch in Lahti noch lange auf den Städtebaupreis wird warten müssen. Auf dem zentralen Platz – in meinem Reiseführer als Hauptsehenswürdigkeit angepriesen – war die Bühne für die allabendliche Medaillenübergabe aufgebaut. Außerdem gab es mehrere Fernsehstudios des norwegischen, schwedischen und finnischen Rundfunks, die unsereins nur von der Fußball-WM oder den Olympischen Spielen kennt. Daran konnte man gut ablesen, dass diese Weltmeisterschaften in den Nordischen Ländern einen ganz anderen Stellenwert haben.
Nach der kurzen Stadtbesichtigung – es war mittlerweile Mittagszeit – meldete sich der Hunger. Da ich keine Lust hatte, mich von Häppchen zu Häppchen zu hangeln, kehrte ich kurzerhand in eine einfache Pizzeria ein und erfreute mich an einer angenehm großen Pizza. Typisch für die Nordischen Länder waren Wasser, Kaffee und ein Salatbuffet inkludiert. War mit den Morgen über noch etwas gammelig zumute, fühlte ich mich nach dem Essen wieder fit – eine vollwertige Mahlzeit war es also, was mir gefehlt hatte!
Nun wurde es aber Zeit, mich zum Wintersportzentrum zu begeben, denn der Start des ersten Wettbewerbs des Tages, der Langlauf-Staffel der Damen, sollte in weniger als einer Stunde erfolgen. Ich reihte mich ein in den Marsch der Fans aus den verschiedenen Nordischen Ländern. Die Stimmung war gut und durchaus mit einem Fußballspiel zu vergleichen. Insbesondere die Norweger und Schweden hatten angesichts der – aus ihrer Perspektive – günstigen Alkholpreise in Finnland schon gut getankt.
Nach der „Einlasskontrolle“ (kurz Ticket zeigen, sonst einfach durchlaufen) ging ich in Richtung Wald. Ich hatte eine Karte in der günstigsten Kategorie inklusive Studentenrabatt erworben, diese berechtigte zum Zugang zur freien Strecke. Dort suchte ich mir ein gemütliches Plätzchen an einem Anstieg, knapp unterhalb der Zwischenzeitnahme. Dort war eine stationäre Fernsehkamera installiert, ich dürfte also bei der TV-Übertragung gut zu erkennen gewesen sein. Die ersten beiden Läuferinnen der Staffel hatten die Runde jeweils zweimal im klassischen Stil zurückzulegen. In der Wartezeit kamen immer mal wieder Vorläufer vorbei, vermutlich um die Spur freizuräumen und die vorherrschenden Schneebedingungen zu testen.
Um 15 Uhr fiel schließlich der Startschuss und schon bald kamen die Läuferinnen an meiner Position vorbei. In der Folge eine kleine Auswahl meiner Versuche als Sportfotograf. Während das Feld in der ersten Runde noch dicht zusammen war, zeichneten sich auf Runde zwei schon vorentscheidende Abstände ab. Erwartungsgemäß hatte sich die norwegische Läuferin deutlich abgesetzt, während Schweden und Finnland dahinter um Anschluss kämpften. Die deutsche Startläuferin brach leider auf der letzten Runde total ein und taumelte den Anstieg förmlich hoch. Auch für den Laien war zu erkennen, dass es mit einer deutschen Medaille heute schwer werden würde.
Diese Trends verfestigten sich auf den beiden Runden der jeweils zweiten Läuferinnen. Nachdem diese absolviert waren, wurde auf die Skating-Technik und damit auf eine andere Strecke gewechselt. Diese war nach einem kurzen, aber recht waghalsigen Fußmarsch durch den Wald und entlang einiger Abhänge zu erreichen. Die erste Runde der dritten Läuferinnen habe ich dadurch verpasst, fand mich aber pünktlich zum zweiten Umlauf an einem Platz unterhalb der Spungschanzentürme ein. Neben mir standen zwei deutsche Fans – zwei ältere Herren der Sorte, die über junge Sportlerinnen stets mit Artikel plus Spitznamen sprechen („die Sandy“, „die Claudi“, …). Wie üblich gab ich mich nicht zu erkennen und lauschte vergnügt ihrer Fachsimpelei.
Vorne liefen nach wie vor die Norwegerinnen ihr einsames Rennen. Dahinter entwickelte sich aber ein packender Kampf zwischen Schweden und Finnland. Am Anstieg sprang die Finnin unter dem tosenden Jubel der Fans immer wieder an der Schwedin vorbei, diese muss in der Abfahrt außerhalb meines Sichtfeldes aber jedes Mal wieder an ihre Kontrahentin herangefahren sein. Die deutsche Läuferin hielt den Rückstand mittlerweile stabil und die Staffel reihte sich vorerst auf dem fünften Platz ein.
Nun waren die Schlussläuferinnen an der Reihe und ich konnte die Ausnahmeläuferin Marit Bjørgen für Norwegen bewundern, die ihrer insgesamt 17. Goldmedaille bei Weltmeisterschaften entgegenlief. Aber was heißt laufen – fernab von jeder Gegnerin bolzte sie brutal den Berg hoch wie ein Tier und mir war schlagartig klar, warum diese Frau den Damenlanglauf seit nunmehr fast 15 Jahren nach Belieben dominiert. Nachdem mich die letzte Läuferin passiert hatte (übrigens aus Australien), war das Rennen für mich vorbei, denn der Zielbereich war von meiner Position aus nicht einsehbar. Mit einem halben Ihr bekam ich mit, dass es im Ziel hieß: Norwegen Gold, Schweden Silber und Finnland Bronze. Meine drei bisherigen Reiseländer haben die Sache also unter sich ausgemacht. Die Deutschen wurden am Ende noch von den Russen attackiert und landeten schließlich abgeschlagen auf dem sechsten Platz.
Nun hatte ich etwa drei Stunden zu überbrücken, bis das Hauptevent des heutigen Tages anstand, nämlich das Skispringen der Herren von der Großschanze. Ich vetrieb mir die Zeit indem ich mir das beeindruckend große Salpausselkä-Skistadion mit seinen charakteristischen drei Skisprungschanzen genauer anschaute. Man konnte sich überall frei bewegen und mit meinem Billigticket hätte ich vermutlich sogar in den VIP-Bereich marschieren können, ohne dass es jemanden interessiert hatte. Als sich die Tribünen langsam wieder füllten, taten sich besonders die Norweger hervor. Diese hatten eine Art Trachtentruppe dabei, die mit allerhand folkloristischen Instrumenten bewaffnet lautstark in das Stadion einzog.
Zunächst stand nun der Probedurchgang auf dem Programm, der nicht in die Wertung eingeht. Dieser wurde recht zügig durchgepeitscht und kaum vom Publikum zur Kenntnis genommen. Dieses interessierte sich mehr für den Anheizer auf der Bühne, der die Finnen zu nicht immer geschmacksicherer Musik zum Ausrasten animierte. Beim Probedurchgang hatte ich Gelegenheit, ein paar Testaufnahmen zu machen. Ich stellte schnell fest, dass das Skispringen durch seine hohe Geschwindigkeiten bei großen Entfernungen nichts für eine Laien-Fotoausrüstung ist. Erst recht wurde mir das klar, als ich sah, mit welchen Monster-Objektiven die Profis unterwegs waren.
Um halb sechs erfolgte schließlich der „Anpfiff“ für den ersten Durchgang. Mittlerweile war das Stadion rappelvoll und es herrschte sehr gute Stimmung. Für diese sorgten neben den zahlenmäßig natürlich am stärksten vertretenen Finnen vor allem die Norweger und die – seit den großen Erfolgen des Adam Małysz – wohl enthusiastischsten Skisprung-Fans aus Polen. Der Wettkampf nahm den nach den letzten Weltcups erwarteten Verlauf: Nach Durchgang eins führte der derzeit dominierende Österreicher Stafan Kraft knapp vor dem formstarken Andreas Wellinger aus Deutschland. Auf Rang drei lag der Norweger Stjernen, was natürlich von der Trachtengruppe, bei der ich mich platziert hatte, wohlwollend zur Kenntnis genommen wurde.
In der kurzen Pause zwischen den beiden Wertungsdurchgängen versorgte ich mich schnell mit einem Gratis-Früchtepunsch und einer Stadionwurst. Ersterer sorgte für wohlige Wärme im Körper. Nach mehreren Stunden Rumstehen im Schnee war mir trotz der vergleichsweise milden Temperaturen doch etwas kalt geworden. Im zweiten Durchgang waren nur noch die besten 30 Starter dabei, so ging er in kaum einer halben Stunde über die Bühne. Am Ende bestätigte sich das Ergebnis der ersten Runde: Stefan Kraft wurde Weltmeister, Andreas Wellinger mit minimalen Rückstand starker Zweiter, während die Bronzemedaille Stjernen auf den letzten Metern noch von Piotr Żyła aus Polen weggeschnappt wurde. Das war den Norwegen-Hools aber herzlich egal, die feierten mittlerweile hauptsächlich sich selbst und ihre mitgebrachten Thermoskannen, in denen vermutlich nicht nur Tee war…
Während nun alles wie bekloppt zum Ausgang stürmte, ließ ich mir Zeit und schlenderte noch ein wenig durch das Stadion herum. In der Mixed-Zone konnte ich einen Blick auf die deutschen Springer erhaschen und den Interviewern ein wenig bei ihrer Arbeit über die Schulter schauen. Ich war überrascht, wie klein und zierlich die Springer in real aussahen – am Bildschirm wirkt das immer ganz anders! Der Spruch „Fernsehen macht dick“ scheint also nicht nur vor, sondern auch in der Glotze zu gelten. Nachdem ich noch ein wenig Matthias Opdenhövel und Dieter Thoma beim Moderieren zugeguckt hatte, machte ich mich schließlich auf in Richtung Zentrum, denn die Abfahrt meines Zuges war nicht mehr fern.
Im Zentrum kam ich wieder an der Bühne vorbei, vor der es diesmal rappelvoll war, denn die Medaillenzeremonie für die Langläuferinnen war im vollen Gange. Ich nutzte die Zeit aber lieber für ein paar Einkäufe für die bevorstehende Nachtzugfahrt. Die kommende Nacht wollte ich nämlich wieder im Zug verbringen und zwar in Richtung Oulu. Ich würde also kurzzeitig nach Nordfinnland zurückkehren. Dies hatte aber hauptsächlich den Grund, dass der Nachtzug eine einigermaßen günstige Schlafmöglichkeit bot, welche in Lahti in Anbetracht des Großereignisses schon seit Monaten nicht mehr aufzutreiben war. Außerdem konnte ich von Oulu aus gut mein nächstes Ziel Kuopio erreichen und erhoffte mir von der Bahnfahrt durch das Herz Finnlands am nächsten Morgen einige schöne Ausblicke.
Ich musste allerdings zunächst von Lahti nach Tikkurila fahren, einem Vorort von Helsinki, was der nächstgelegene Halt des Nachtzuges war. Der Umsteig in Tikkurila war mit 18 Minuten nicht gerade üppig bemessen und der Zubringerzug war schon mit leichter Verspätung angezeigt. Außerdem strömten mittlerweile immer mehr Skifans zum Bahnsteig und ich fürchtete, der Zug würde knüppelvoll werden. Dem war aber nicht so und als der Intercity mit etwa fünf minütiger Verspätung eingefahren war, verteilte sich die Masse an Fahrgästen gut über die Doppelstockwagen. Ich kam schießlich rechtzeitig in Tikkurila an, was sich als hochmoderne Bahnstation herausstellte, die scheinbar eine große Bedeutung als Umsteigeknoten in Finnland hat.
Schließlich fuhr um Viertel vor elf mein Nachtzug ein und ich enterte den Eulen-Wagen. Im meinem Abteil – wieder hatte ich das untere Bett erwischt wie bislang immer auf dieser Reise – wartete schon ein Finne in Schlafmontur. Ich sagte kurz Hallo, entschuldigte mich für die Störung seiner Nachtruhe, und legte mich in meine Koje. Nachdem die nötige Bettschwere durch mein Schlummer-Bierchen erreicht war, knipste ich mein Nachtlicht aus und fiel nach dem anstrengenden Tag in einen tiefen, festen Schlaf… Damit sage ich Tschüss für heute und bis morgen!