Hallo und herzlich willkommen zum letzten „Nuller“-Tag! Heute gab es mal wieder eine kleine Planänderung, denn anstatt direkt nach Oslo zu fahren, legte ich noch einen Zwischenstopp in Drammen ein. Das stellte sich als gute Idee heraus, denn dort verbrachte ich ein paar schöne Stunden im Schnee. Die ersten Eindrücke von Oslo hingegen ließen mich mit gemischten Gefühlen zurück…
Heutige Route:
Lillehammer – Drammen – Oslo
Gefahrene Kilometer:
265 (total: 5.120)
Nachdem ich gestern Abend fertig gegessen und den Blogeintrag abgeschickt hatte, war es schon recht spät und ich bin direkt Richtung Bett gestiefelt. Auf dem Zimmer fand ich dann meinen Mitbewohner vor. Er war Schwede und für ein paar Tage zum Skifahren in Lillehammer. Mein Reisekonzept fand er relativ skuril, insbesondere die Tatsache, dass ich wenige Tage zuvor ausgerechnet seine – seiner Meinung nach sterbenslangweilige – Heimatstadt Falun besucht hatte. Wir einigten uns noch auf eine Weckzeit von 07:00 Uhr und legten uns dann schlafen.
Am nächsten Tag wachte ich gut erholt auf und freute mich auf einen Morgen ganz ohne Zeitdruck. Mein heutiges Tagesziel Oslo war nämlich nur gut zwei Stunden entfernt und die Züge fuhren nahezu stündlich. Im Frühstücksraum fläzte ich mich in eine gemütliche Sofaecke mit (Fake-)Kamin und genoss die reichhaltige Auswahl an Leckereien.
Obwohl ich es ruhig angehen ließ, war ich schon gegen halb neun fertig. Ich beschloss, mich mit dem Packen zu beeilen, so dass ich noch den Zug um 09:07 Uhr erreichen könnte. Ich hatte nämlich spontan den Entschluss gefasst, nicht direkt nach Oslo zu fahren, sondern noch einen kleinen Schlenker einzubauen… Für heute war nämlich wieder tollstes Winterwetter angegündigt und das wollte ich unbedingt nutzen – und zwar möglichst in der Natur und nicht in der Großstadt. Überpünktlich kam ich am Bahnsteig an und hatte somit noch genügend Zeit für ein paar Abschiedsfotos, ehe ich mich in den mal wieder sehr schwach ausgelasteten Zug in Richtung Hauptstadtregion setzte.
Wir befuhren nun den letzten Teilabschnitt der Dovrebanen. Landschaftlich ist er vielleicht nicht mehr ganz so spektakulär, durch die Schneemassen draußen ergab sich aber wieder eine tolle Winteratmosphäre. Rechter Hand konnte man lange Zeit aus verschiedenen Perspektiven den riesigen Mjøsa-See betrachten. In Hamar wurde der Zug merklich voller, denn wir nahmen viele Anschlussreisende von der Rørosbanen auf, welche eine alternative Verbindung in Richtung Trondheim darstellt. Schließlich erreichten wir den Großraum von Oslo, gleichzeitig wurde die Landschaft immer flacher. Am Flughafenbahnhof von Oslo stiegen wieder eine Menge Fahrgäste zu, so dass der Zug nun nahezu voll ausgelastet war – eine Premiere für mich in Norwegen!
Nach weiteren 20 Minuten erreichten wir schließlich Oslo Sentralstasjon. Für mich war diese allerdings vorerst nur Durchgangsstation, denn ich fuhr weiter bis zum Endbahnhof des Zuges in Drammen, einem Städtchen mit 60.000 Einwohnern am gleichnamigen Fjord, etwa 40 km südwestlich von Oslo. Am Bahnhof angekommen, verfrachtete ich meinen Rucksack in ein erstaunlich preiswertes Schließfach (40 NOK), nahm noch eine landestypische Minmalverpflegung zu mir (Pølser) und marschiederte dann schnurstracks in Richtung Zentrum. Dort hielt ich mich aber nicht lange auf, denn ich hatte ein anderes Ziel: den Spiralen, der Hausberg von Drammen.
Der Fuß des Berges war schnell erreicht und hier wartete eine besondere Sehenwürdigkeit. Namensgebend für den Spiralen ist nämlich ein Tunnel, welcher sich in sechs 360-Grad-Kurven wie ein Korkenzeiehr dem Gipfel entgegenwindet. Leider ist der Tunnel allein dem motorisierten Verkehr vorbehalten und so versuchte ich den Berg über einen alternativen Pfad fußläufig zu erklimmen. Unterwegs habe ich allerdings irgendwo den Abzweig zum „offiziellen“ Weg verpasst, welcher mich auf der kürzesten Route nach oben gebracht hätte. Das erwies sich jedoch als echter Glücksfall, denn so fand ich mich in einer zauberhaften Winterwelt wieder und stapfte einige Zeit durch die frisch eingeschneiten Wälder entlang des Hanges. Laut Wetterapp waren es hier -6 °C, aber definitiv der angenehmeren Sorte, denn gefroren habe ich zunächst überhaupt nicht.
Unterwegs gab es einige interessante Dinge zu entdecken, zum Beispiel einen eingeschneiten Fußballplatz mitten im einsamen Wald, eine etwas klapprig wirkende Skisprungschanze, sowie ein Freilichtmuseum mit historischen Holzhäusern. Außerdem waren auch hier wieder Langlauf-Loipen gespurt, die abends sogar durch Straßenlaternen beleuchtet werden.
Als ich mich schon damit abgefunden hatte, den Gipfel nicht mehr zu erreichen und dies einfach als schönen kleinen Winterspaziergang anzusehen, kam ich plötzlich an einem Schild vorbei, das die Richtung zum Spitralentoppen wies, welcher nur noch 500 Meter entfernt war. Dort angekommen genoss ich den herrlichen Ausblick auf Drammen und den dazugehörigen Fjord. Nur der trübe Himmel verhinderte, dass man noch weiter ins Landesinnere schauen konnte.
Auf dem Gipfel gab es ein kleines Cafè und auch wenn die exponierte Lage nicht gerade Schnäppchen-Preise versprach, wollte ich mich für den Aufstieg doch wenigstens mit einem Heißgetränk belohnen, zumal es hier oben mit einem leichten Lüftchen dann doch langsam ein wenig kühl wurde… Was dann folgte war das wohl teuerste Stück Apfelkuchen meines Lebens, aber lecker war es immerhin! Es kam dann extra nochmal der Koch aus der Küche, um sich mit dem „Fremden“ zu unterhalten, und wir philosophierten über das norwegische Preissystem. Er selbst war Däne und erzählte, dass ihn die Preise nicht weiter störten, auch nicht jene für Bier, da schließlich die Löhne auch demenstprechend höher seien. Nur eine Sache nerve ihn gewaltig und das sei der Preis für Zigaretten. Bei umgerechnet etwa 15 EUR für die Schachtel kann man das auch durchaus nachvollziehen!
Langsam ging es auf 16 Uhr, und da ich ja auch noch etwas von Oslo haben wollte, verabschiedete ich mich. Vorher fragte ich noch zu dem kürzesten Weg nach unten, diesmal wollte ich nämlich keine Zeit mehr verlieren. Somit fand ich mich auf dem Sikk-sakk-Weg wieder und der Name war Programm – in steilen Serpentinen ging es hinab, aber dafür war die Strecke nur eineinhalb Kilometer lang. Zurück im Zentrum von Drammen besorgte ich mir noch eine Kleinigkeit zu Essen (die norwegische Variante von Sushi, eine Art Karottensalat mit rohem Lachs) und bestieg dann den nächstbesten Zug nach Oslo. Auffällig war, dass wir einen großen Teil der Strecke in Tunnels zurücklegten und nur für die Zwischenhalte kurz mal wieder an das Tageslicht kamen. Im Hauptbahnhof von Oslo angekommen herrschte gerade bestes Fotolicht und so konnte ich ein paar nette Bilder von der modernen Achitektur rund um die Gleise machen.
Ich besorgte mir dann ein 24-Stunden-Ticket für den öffentlichen Nahverkehr und begab mich mit U-Bahn (die hier T-bane heißt) und Bus in Richtung meiner Unterkunft für zwei Nächte, dem Haraldsheim. Als mich der Bus in einem gottverlassenen Gewerbegebiet absetzte wurde ich stutzig. Google Maps bestätigte dann, das hier etwas nicht stimmte, gab es den Fußweg bis zur Herberge doch mit über einer Stunde an. Es stellte sich heraus, dass die Autovervollständigen-Funktion der Webseite der Osloer Verkehrsbetriebe mich genarrt und zu einer Haltestelle geschickt hatte, die zwar so ähnlich heißt wie meine, aber eben nicht genau… also hieß es Kommando zurück, aber erst nachdem ich noch einige Zeit in der Kälte herumstehen und auf den nächsten Bus warten musste.
Als ich dann irgendwann – es war schon bald 19 Uhr – an der richtigen Haltestelle ankam, nach einem weiteren Fußmarsch durch den Schnee das Hostel erreicht und die schier endlose Eincheck-Prozedur an der Rezeption überstanden hatte, war meine Stimmung schon etwas angeschlagen. Bisher hatte ich nicht gerade das Gefühl, dass Oslo mich mit offenen Armen empfängt! Auf dem Weg zum Zimmer bemerkte ich dann, dass das Haraldsheim seine besten Tage definitiv schon länger hinter sich hat. In meinem 6er-Zimmer warteten bereits zwei Mitbeohner auf mich: Ein Russe, etwas jünger als ich, sowie ein älterer Norweger, offensichtlich wohnungslos. Später kam ein weiterer Norweger hinzu – auch er nicht gerade in bester Verfassung – der es nur mit allergrößter Mühe schaffte sein (oberes) Bett zu erklimmen. Mittlerweile wurde mir klar, dass es in Skandinavien scheinbar üblich ist, dass Menschen die (zeitweise) ohne festen Wohnsitz sind, für eine gewisse Zeit in einer Jugendherberge unterkommen. Das erklärt auch, warum mir in den anderen Herbergen schon immer so viele relativ alte Bewohner aufgefallen sind, die offensichtlich nicht gerade freiwillig und nicht gerade aus touristischen Zwecken dort waren. Diese Tatsache deprimierte mich und mit meiner reinen „Spaßreise“ fühlte mich irgendwie fehl am Platz. Dazu kam noch, dass der Russe und Norweger Nr. 1 mich in komische politische Gespräche verstrickten rund um Trump, Ukraine, Klimawandel und Co., worauf ich gerade absolut keine Lust hatte. Naja – Augen zu und durch, irgendwie werde ich die zwei Nächte schon herumkriegen.
Später freundete ich mich noch ein bisschen mit dem Russen an und wir gingen zusammen einkaufen und tranken das ein oder andere Lettøl zusammen. Es stellte sich heraus, dass er zu einem Vorstellungsgespräch bei einer Software-Firma nach Oslo gereist war und dazu überhaupt das erste mal in seinem Leben Russland verlassen hat. Er wollte gleich eine ganze Woche hier verbringen, um die Lebensweise in Norwegen genau zu studieren – hoffte er doch, mit seiner Familie bald für längere Zeit hier zu leben. Um sich die Reise leisten zu können, musste er viele Monate sparen, was bei den aktuellen Rubelkursen nicht gerade verwundert. Und dann auch noch ausgerechnet Norwegen… Später gab er kleinlaut zu, dass er in dem Gespräch durchgefallen war und sein Traum von einem besseren Leben im Westen somit vorerst geplatzt. Das tat mir sehr leid und soviel Unglück um mich herum gab meiner Stimmung vorerst den Rest. Wir gingen dann irgendwann zum Schlafen zurück aufs Zimmer und fanden dort zwei äußerst aktive Holzfäller vor… zum Glück hatte ich Oropax eingepackt!